Jäger der Nacht
Schreibmaschine eines Reporters in die Verbannung getrieben werden würde.
Er haßte Kevin, der so anmaßend in seiner Jugend war und Stärke aus seiner Anziehungskraft holte. Was hatte Bruce schon von dem alten Mann gewußt, der ihm am Jefferson Square einen geblasen hatte? Er hatte ihm – Auge in Auge – auf der Polizeiwache gegenübergestanden, der Mann hatte dagestanden, mit eingezogenen Schultern, abstoßend in seinem Schuldgefühl, und meistenteils auf Bruces Ausbuchtung gestarrt. Er hatte wässerige Augen und ausfallendes, dünnes, graues Haar. Bruce war es eiskalt den Rücken runtergelaufen, als er sich dieses Bild seiner eigenen Zukunft betrachtet hatte, wie er durch die Straßen der feindlichen Stadt wanderte, wie ein Aasgeier auf der Suche nach Überresten menschlicher Nähe.
An Schlaf war nicht zu denken. Er lag auf seinem Bett und beobachtete die Vorhänge, wie sie von der Morgendämmerung immer heller wurden. In seiner Fantasie hörte er – und es klang ihm wie der todverkündende Schrei eines Käuzchens – das Kreischen der hochtourigen Rotationsmaschinen, die Ausgabe auf Ausgabe der Morgenzeitung druckte, die die ganze Stadt bald lesen würde. Die ersten Exemplare, so wußte er, würden gegen sieben am Zeitungsstand unten an der Ecke sein. Er beobachtete, wie der große Zeiger der Nachttischuhr an der Sechs vorbeistrich. Sechs Uhr dreißig. Um zwanzig vor sieben wälzte er sich‐immer noch, von den Schuhen abgesehen, vollständig angezogen – aus dem Bett, goß sich eine Tasse Instantkaffee ein und leerte sie in kleinen Schlucken. Er fühlte sich benommen.
Um fünf Minuten vor sieben – er fühlte sich immer noch benommen – ging er durch die frische Morgenluft zum Zeitungsstand an der Ecke. Bob, der Zeitungsverkäufer, war immer noch dabei, die Stapel der Morgenzeitungen auszupacken. Er bedachte Bruce mit einem freundlichen Lächeln, das auf eine lange Bekanntschaft zurückzuführen war. «Früh auf heute morgen, was, Mr. Andrews?»
«Ja, Bob.» Bruce gab ihm eine Münze. «Hab’ schlecht geschlafen letzte Nacht.» Er bemühte sich, seine Hand nicht zittern zu lassen, als er die Zeitung nahm und sie sich wie gewöhnlich unter den Arm schob. Er bemühte sich, sein normales Schrittempo einzuhalten, als er den Zeitungsstand verließ, und fragte sich, ob Bob eigentlich die Zeitungen las, die er verkaufte. Er hoffte, nicht.
Er ging zu einer nahen Cafeteria und setzte sich an das hintere Ende des Tresens, um Platz zum Ausbreiten der Zeitung zu haben. Cindy, die Serviererin, war heiterer Stimmung. «Guten Morgen, Mr. Andrews. Schöner Tag heute, nicht?»
«Sehr schön», sagte Bruce.
«Das Übliche?»
Bruce wußte nicht, ob er zwei Eier verkraften könnte, aber er wollte auf keinen Fall durch irgendein verdächtiges Verhalten aus seiner Gewohnheit ausbrechen. «Genau. Laß dir Zeit.»
Als Cindy ihm eine dampfende Tasse Kaffee brachte, studierte Bruce gerade die Titelseite. Da stand nichts. Er schlug die Zeitung auf und ging sorgfältig Seite für Seite durch. Er übersah fast die Geschichte, die unten auf der Seite mit den Todesanzeigen vergraben war.
POLIZEI RÄUMT AM JEFFERSON SQUARE AUF Polizeihauptmann Edward L. Roche vom Vierten Stadtbezirk hat bekanntgegeben, daß auf die Beschwerden von Anliegern hin 23 Herumtreiber und unerwünschte Personen bei einer Razzia am Jefferson Square gestern Nacht um 22 Uhr aufgegriffen worden sind.
Jefferson Square werde im zunehmenden Maße von aktenkundigen Homosexuellen heimgesucht, in der Absicht, auf öffentlichem Grund und Boden unzüchtige Handlungen vorzunehmen, sagte Hauptmann Roche. «Wir beabsichtigen, diesem Zustand durch unangemeldete Säuberungsaktionen ein Ende zu bereiten.» Obgleich er die Namen der aufgegriffenen Personen zurückhielt, sagte Hauptmann Roche, daß die Liste Namen enthalte von «allem Anschein nach angesehenen Bürgern der Stadt». Er warnte davor, daß man bei kommenden Razzien jedoch die Namen und Anschriften an die Presse weitergeben würde.
Bruce saß am Tresen und stützte seinen Kopf auf die Hände. Cindy brachte die Eier vorbei. «Was ist los, Mr. Andrews, sind Sie krank?» Bruce schüttelte seinen Kopf. «Hab’ nur ‘nen Kater.» Cindy trat einen Schritt zurück und sah ihn kritisch an. «Wie wär’s mit ‘nem Tomatensaft mit Tabasco?»
«Nein, danke. Die Eier reichen. Das wird mir guttun», sagte ein allem Anschein nach angesehener Bürger der Stadt.
20. KAPITEL
Die Tage, seit er
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