Jäger der Schatten
fest um sich. Dann rieb sie seine Hände, bis sie wieder warm waren.
Mit leiser Stimme erzählte er ihr, was passiert war. Er war nur einen kurzen Augenblick länger auf dem Motorboot geblieben, um Skyler einen Vorsprung zu verschaffen. Dann hatte er es direkt auf die Jet Skis zugesteuert. Doch die Venatoren hatten dies zu ihren Gunsten ausgenutzt und waren einfach an Deck gesprungen. Er hatte sich gegen sie wehren müssen. Einer von ihnen war wieder verschwunde n – die Frau, die Skyler verfolgt hatte. Mit dem anderen hatte er um Leben und Tod gekämpft.
»Wie meinst du das?«, fragte Skyler.
»Er hatte ein schwarzes Schwert bei sich«, sagte Jack langsam. Er hielt eine Hand über die Öllampe und ließ die Flamme aufzüngeln. »Ich musste es benutzen. Es galt nur noch eins: ich oder er.« Er sah so niedergeschlagen aus, dass Skyler ihre Hand tröstend auf seine Schulter legte. Jack neigte den Kopf. »Tabris. Ich kannte ihn. Wir waren mal Freunde.«
Jack hatte den Venator bei seinem Engelsnamen genannt. Skyler hielt den Atem an. Das war alles ihre Schuld. Sie war diejenige gewesen, die Jack von der Gräfin erzählt hatte. Sie war diejenige gewesen, die ihn nach Europa gebracht hatte. Diese Suche war ihr Vermächtnis, nicht sein s – sie hatte ihm ihre Verantwortung aufgebürdet. Sie war diejenige gewesen, die ihre Flucht geplant hatt e – niemand hätte verletzt werden sollen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Gräfin so weit gehen würd e … Das schwarze Schwer t – du lieber Gott! Wenn Jack den Venator nicht besiegt hätte, wäre er selbst vernichtet worden.
Er zog sie noch fester an sich und flüsterte ihr erbittert ins Ohr: »Es musste geschehen. Ich habe ihn vor die Wahl gestellt. Er wählte den Tod. Früher oder später wird der Tod jeden ereilen.« Jack drückte seinen Kopf gegen ihren und sie spürte die pochenden Adern unter seiner Haut.
Der Tod wird jeden ereilen? Insbesondere Jack sollte wissen, dass das nicht wahr sein konnte. Die Blue Bloods hatten schon Jahrhunderte überlebt. Skyler fragte sich, ob er in diesem Moment an Mimi dacht e – an Azrael. Der Tod wird jeden ereilen. Traf das auch auf Jack zu? Würde Mimi von ihrem Recht Gebrauch machen, ihn zu verbrennen, und seine Seele damit für immer auslöschen?
Skyler war nicht halb so besorgt um ihr eigenes Leben wie um seins. Wenn er sterben würde, hätte alles keinen Sinn mehr. Bitte, Gott, lass das nicht zu! Nicht jetzt. Gib uns noch etwas Zeit.
5
Geteiltes Brot
S kyler war in Jacks Armen eingeschlafen. Sie erwachte und blinzelte mit den Augen, als sie etwas rascheln hörte. Die kleine Öllampe brannte noch immer, aber der Regen hatte aufgehört. Das einzige Geräusch war das Klatschen der Wellen gegen den Schiffsrumpf.
Jack hielt einen Finger an die Lippen. Sei still! Hier ist jemand.
»Signorina?« Eine Gestalt stand am Eingang.
Bevor Skyler antworten konnte, war Jack aufgesprungen und hatte Ghedi an der Gurgel gepackt.
»Jack! Warte, was tust du da? Das ist Ghedi. Er hat mir geholfen. Er hat mich aus dem Wasser gefischt. Jack! Lass ihn los!«
Ghedis dunkles Gesicht war aschfahl geworden. Zitternd hielt er einen Korb in der Hand.
»Bos s …«, protestierte er. »Ich bringe Essen. Brot. Abendessen.«
»Du versorgst uns gut, Mensch«, sagte Jack kalt. »Vielleicht sogar zu gut. Sag uns, wem du in Wahrheit dienst!«
Skylers Wangen glühten vor Empörung. »Jack, bitte! Das ist doch lächerlich!«
»Nur wenn er mir sagt, wer er wirklich ist und für wen er arbeitet. Ein somalischer Pirat schert sich einen Dreck um zwei amerikanische Kids, vor allem, wenn er bereits bezahlt wurde. Warum bist du uns gefolgt? Hat die Gräfin dich geschickt?«
Ghedi schüttelte den Kopf. »Ihr dürft keine Angst haben, meine Freunde, denn ich bin ein Freund des Professors.«
Skyler war überrascht, den Somalier in perfektem Englisch und nicht länger mit seinem afrikanischen Akzent sprechen zu hören.
»Der Professor?«, fragte Jack und lockerte den Griff.
»Ja. Professor Lawrence van Alen.«
»Du kanntest meinen Großvater?«, wollte Skyler wissen. »Warum hast du das nicht schon eher gesagt? Auf dem Markt?«
Ghedi antwortete nicht. Stattdessen griff er in den Korb und holte kleine Säcke mit Mehl, Salz und eine Sardinendose hervor. »Zuerst müssen wir etwas essen. Ich weiß, dass ihr das nicht braucht, aber bitte, der Kameradschaft zuliebe, lasst uns ein gemeinsames Mahl einnehmen, bevor wir reden.«
»Warte einen Moment«,
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