Jäger der Schatten
sagte Jack. »Du sprichst von unseren Freunden. Doch woher sollen wir wissen, dass du tatsächlich ein Freund bist? Lawrence van Alen hatte genauso viele Feinde wie Verbündete.«
»Das stimmt. Doch wie soll ich euch beweisen, dass ich sein Freund war? Ihr müsst selbst entscheiden, ob ihr mir glauben wollt. Ich besitze kein Zeugnis, keine Papiere, die meine Geschichte bestätigen könnten. Ihr habt nur mein Wort. Ihr müsst auf euer eigenes Urteil vertrauen.«
Jack sah Skyler an. Was denkst du?
Ich weiß es nicht. Ich verstehe, dass du misstrauisch bist. Doch tief in meinem Herzen fühle ich, dass er ein Freund ist. Das ist alles. Nur ein Gefühl.
Unsere Instinkte sind am Ende alles, was wir haben. Instinkte und Glück , sandte Jack.
»Heute Abend wollen wir dir vertrauen, Ghedi«, sagte er. »Du hast Recht, du musst etwas essen, genau wie sie. Bitt e …« Er ließ ihn los und zeigte zum Feuer.
Ghedi pfiff vor sich hin, während er den Teig des Injera-Brots, einer Art Fladenbrot, in der winzigen Kombüse zu kleinen Kreisen formte. Er fand eine Bratpfanne und zündete einen der Gaskocher an. Mit dem anderen Kocher grillte er die Sardinen über der offenen Flamme. Schon nach wenigen Minuten begann der Teig aufzugehen und der Fisch zu dampfen. Als Ghedi mit dem Kochen fertig war, füllte er drei Teller.
Das Brot war ein wenig sauer und sehr weich, doch Skyler kam es vor, als wäre es das beste Brot, das sie je gegessen hatte. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie hungrig sie war, bis der leckere Duft des Essens den Raum erfüllt hatte. Sie war sogar fast am Verhungern gewesen. Der Fisch war fantastisch und mit den frischen Tomaten, die Ghedi noch ausgegraben hatte, wurde es ein richtiges Festmahl. Jack nahm aus Höflichkeit ein, zwei Bissen. Doch Skyler und Ghedi aßen, als wäre es ihre erste Mahlzeit seit Tagen.
Es war also kein Zufall gewesen, dass sie Ghedi auf dem Markt getroffen hatten, dachte Skyler. Sie taxierte ihren neuen Gefährten, während sie ein Stück Brot in etwas Butterschmalz auf ihrem Teller tauchte. Wenn sie es recht bedachte, war der Pirat auf sie zugekommen und nicht umgekehrt. Es schien ihr jetzt sogar, als hätte er auf sie gewartet. Er hatte sie buchstäblich in einen Hinterhalt gelockt, als sie an seinem Stand vorbeigekommen waren, und sie gefragt, ob er ihnen zu Diensten sein könne. Er hatte sehr überzeugend gewirkt und irgendwie hatte Skyler es geschafft, ihm das Besondere an ihrer Gefangenschaft zu erklären. Letztendlich hatten sie ihm vertraut und ihn gebeten, ein Motorboot zu besorgen.
Doch wer war Ghedi wirklich? Und woher kannte er Lawrence?
»Ich weiß, dass ihr viele Fragen habt«, sagte der Somalier. »Aber es ist spät und wir müssen uns ausruhen. Ich werde morgen wiederkommen und euch alles erzählen, was ich weiß.«
6
Mutterlos
I ch war sechs Jahre alt, als sie mir meine Mutter nahmen«, erzählte Ghedi am nächsten Morgen während des Frühstücks, das aus Espresso und frischem Brot in einer braunen Papiertüte bestand.
Skyler zog die Augenbrauen hoch, während Jack düster dreinschaute. Sie schlürften ihren Kaffee und hörten zu. Draußen begrüßten die Möwen die Morgendämmerung mit ihrem traurigen Geschrei. Wenigstens mussten Jack und sie nicht befürchten, von den Bootseigentümern entdeckt zu werden. Sie wollten dennoch so früh wie möglich aufbrechen.
»Ich hatte die Rebellen noch nie selbst gesehen, doch die Menschen in den benachbarten Dörfern hatten uns schon viel von ihnen erzählt. Die Rebellen holten sich immer die Frauen, vor allem die jungen Mädchen.« Ghedi zuckte wie zur Entschuldigung mit den Schultern. »Mir wurde erzählt, dass meine Mutter am Bach Wasser holen wollte, als sie sie mitgenommen haben. Sie war wunderschön, meine Mutter. Als sie zurückkam, hatte sie sich völlig verändert.« Ghedi schüttelte den Kopf. Seine Augen funkelten erbittert. »Sie wa r … anders. Und ihr Bauch war angeschwollen.«
»Wurde sie vergewaltigt?«, fragte Skyler vorsichtig.
»Ja und nei n … Sie konnte sich nicht daran erinnern, ob man ihr Gewalt angetan hatte. Sie konnte sich an gar nichts mehr erinnern. Mein Vater war ein Jahr zuvor im Krieg getötet worden und während der Geburt starben meine Mutter und das Baby. Niemand überlebte. Ich blieb allein zurück. Mein Onkel brachte mich zu den Missionaren. Sie hatten ein Waisenhaus in Berbera. Dort lebten lauter verlorene Jungen wie ic h – Kriegswaisen, mutterlose Kinder. Eines Tages kam Pater
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