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Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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gegenüber. Weiße Vorhänge verhinderten, dass man hineinschauen konnte. Unauffällig ließ sie den Blick über Platz und Straße gleiten. Niemand kam ihr verdächtig vor.
    Sie fragte sich, was sie an seiner Stelle tun würde. Ob sie versuchen würde, in die Wohnung zu gelangen. Ob sie warten würde. Wenn sie warten würde, dann nicht allzu lange. Sie wüsste, dass die Kripo irgendwann auf die Wohnung in Colmar stoßen würde. Aber sie würde nichts überstürzen. Ein bisschen Zeit bliebe. Bis die Deutschen, würde sie denken, französische Unterstützung bekämen, würde es eine Weile dauern.
    Vielleicht würde sie bis nach Einbruch der Nacht warten.
    »Vor ein paar Minuten war jemand kurz am Fenster«, sagte Henri. »Eine alte Frau. Stand zwei, drei Sekunden lang da und hat auf die Straße geschaut. Weiße Haare, zurückgebunden, klein.« Wieder ein betont lässiges Achselzucken.
    Sie nickte. Josepha Ettinger, ihre Schwester? »Wart ihr im Haus?«
    »Nein. Hätten wir reingehen sollen?«
    »Nein.«
    »Aber ich habe mir die Klingelschilder angesehen. Ein paar französische Namen, ein paar deutsche.«
    »Ettinger?«
    »Ja.«
    Sie nickte erneut.
    »Wir können ja mal klingeln und nachsehen«, sagte Henri. »Wir Franzosen. Uns würden die schon reinlassen, oder?«
    »Und wenn nicht? Polizist ist Polizist. Wir warten, Henri.«
    Er rollte die Augen.
    »Und du? Halbfranzösin, eh?«
    »Vater Franzose, Mutter Deutsche.«
    »Was es so alles gibt.« Henri lachte trocken.
    Das Perrier kam. Sie tranken schweigend.
    »Worauf warten wir?«, fragte Henri.
    »Auf einen Hund.«

    Kurz darauf rief Bermann an. »Kannst du sprechen?«
    »Ja.« Sie stand auf, entfernte sich ein paar Meter von Henri. Mechanisch glitt ihr Blick über die anwesenden Gäste. Henri hatte diesen Ort gewählt, weil man das Haus der Ettingers von hier aus gut beobachten konnte. Vielleicht war der Täter auf denselben Gedanken gekommen.
    Ein paar Studenten, ein paar ältere Leute, zwei einzelne Männer mit Laptop, ein Damenkränzchen. Niemand, der auffällig gewesen wäre.
    Sie berichtete Bermann, wo sie war. Dass sie mit Leuten von Chervel auf Claus Rohmueller wartete. Bermann begriff sofort. Wenn jemand eine Chance hatte, an die Ettingers und Nadine heranzukommen, dann der Vater.
    Der Vater, dachte sie, und der Hund.
    Er fand es riskant – einen Zivilisten einzubeziehen. Noch dazu den Vater. Noch dazu einen wie Rohmueller mit Einfluss, Geld, Bedeutung.
    Nicht nur einen Zivilisten, Rolf. Zwei. »Geht nicht anders.«
    »Ja«, sagte Bermann. »Von mir aus. Aber vergiss nicht, dass du nicht daheim bist. Und wir müssen Kehl informieren.« Kehl, Sitz des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit. Bermann versprach, sich darum zu kümmern.
    Er war mit einem Teil der Soko und Schutzpolizisten in Grezhausen. Sie hatten Hof und Haus durchsucht. Lubowitz und seine Leute waren eben angerückt, suchten nach verwertbaren Spuren. »Was ist mit dem Hund passiert?«
    »Er hat auf ihn geschossen«, sagte sie. »Die Kugel in der Seite. Die im Kopf stammt von mir.«
    »Deswegen«, sagte Bermann.
    »Glaubst du, ich erschieße aus Spaß einen Hund?«
    »Ich weiß nicht, was dir Spaß macht, Louise«, sagte Bermann. »Außer Esofuzzis natürlich.«
    Es klang versöhnlich. Ein kollegialer Scherz à la Rolf Bermann.

    Als sie wieder bei Henri saß, fielen ihr die beiden anderen Hunde ein. Die Ettingers hatten drei. Einen hatten sie in Grezhausen gelassen. Wo waren die beiden anderen?
    Henri nickte mit gerunzelter Stirn. Eine alte Dame mit zwei Hunden, ja, die hatte den Laden betreten, kurz bevor Louise gekommen war, und noch nicht wieder verlassen. » Merde! Man kann durch den Laden ins Treppenhaus.« Er machte strenge, kleine Augen. »Da soll einer drauf kommen.«
    Louise blickte wieder auf die Fenster im zweiten Stock. Sie hatten sie um ein paar Minuten verpasst.
    Aber etwas anderes, dachte sie, war wichtiger. Eine alte Dame mit zwei Hunden – endlich hatten sie einen konkreten Hinweis darauf, dass die Ettingers tatsächlich in Colmar waren.
    Gegen Viertel vor drei kam Ben Liebermann mit Claus Rohmueller und dem Collie. Sie ging ihnen entgegen, zog Rohmueller in den Gang zu den Toiletten. Sie wollte um keinen Preis Aufsehen erregen. »Kein Wort«, sagte sie.
    Rohmueller nickte.
    Wie gestern war seine Kleidung elegant und saß tadellos. Doch an seinem Gesicht erkannte sie, dass er seit dem Gespräch mit ihr am Vortag keine Sekunde geschlafen

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