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Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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sie den Raum, sah in den Flur. Von links, aus dem Wohnzimmer, drang Sonnenlicht herein, rechts, wo die Treppe begann und die Toilette lag, war es dunkel.
    Wenn er hier unten war, dann in der Dunkelheit.
    Sie hatte zu schwitzen begonnen, zu atmen aufgehört, atmen, dachte sie, Herrgott noch mal, atmen!, stell dich doch nicht so an! Sekundenlang starrte sie in die Finsternis, lauschte, kein Geräusch außer ihrem Atem und dem leisen Ticken der Standuhr aus dem Wohnzimmer.
    Dann zwang sie sich, Schritt für Schritt, in die schwarze Dunkelheit hinein, die Waffe im Anschlag. Sie wusste, dass er sie längst gesehen hätte, wenn er hier unten gewesen wäre, also, dachte sie, war er nicht hier unten, jedenfalls nicht hier, in der Dunkelheit, die zu einem farblosen Grau wurde, je weiter sie vordrang, denn dann hätte er doch auf sie geschossen, diesmal hatte er ja eine Schusswaffe bei sich, aber er war tatsächlich nicht hier unten, jetzt konnte sie den Rest des Flures überblicken, hier war er nicht. So leise es ging, öffnete sie die Tür der Toilette, ließ sie offen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der kleine Raum leer war.
    Sie kehrte zur Küchentür zurück, warf einen Blick auf die Treppe. Kein Laut von oben. Wieder kalte Schauer auf ihrem Rücken, diesmal aus Angst, sie wollte da nicht hoch.
    Vorsichtig ging sie in Richtung Wohnzimmer weiter, hinein ins Sonnenlicht, das an der Türschwelle fast grell war, sekundenlang sah sie nur Konturen, die Fensterrahmen, die Armstütze eines Sessels, dann, als ihre Augen über den Raum glitten, wurde es besser, das dunkle Holz schluckte das Licht. Das Ticken der Standuhr kam ihr jetzt ohrenbetäubend laut vor, wie am Morgen der Duft von Blumen und Holz. Langsam ging sie um die Möbel herum, blieb erschrocken stehen, als sie vor dem Sideboard Chaos bemerkte, die Türen standen offen, auf dem Steinboden lag der Inhalt der Fächer, Ordner, Unterlagen, Schnellhefter, Broschüren. Sie wusste, wonach er gesucht hatte.
    Für einen Moment ruhten ihre Augen auf den Schwarzweißfotos der vier Mädchen, vier Schwestern, eine davon Josepha, die schwarzen Rahmen wirkten wie Trauerränder.
    Im Esszimmer ging sie einmal um den Tisch, dann kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, kniete vor dem Sideboard nieder. Zwei Ordner zu München, Teilungserklärungen, uralte Kaufverträge, Mietverträge, Betriebskostenabrechnungen, ein Ordner zu dem Haus in Grezhausen, keine anderen Immobilien, nichts zu Colmar, so konzentriert sie auch suchte. Hatte er die Unterlagen mitgenommen?
    Plötzlich, während sie noch in den Ordnern blätterte, fiel ihr ein Geruch auf, der in diesem Raum neu war, ein flüchtiger Duft nach einem schweren, süßlichen Männerparfüm, den sie am Morgen nicht wahrgenommen hatte.
    Sie kannte den Duft. Sie kannte einen Mann, der so roch. Aber sie kam nicht darauf. Keiner, mit dem sie tagtäglich zu tun hatte, das wusste sie. Einer, der einmal wichtig gewesen war. Als Kollege?
    Sie ging in den Flur zurück. Wieder lag ihr Blick für einen Moment auf der Treppe. Sie wusste, dass sie nicht nach oben gehen würde, unter keinen Umständen, auch wenn sie nicht gefunden hatte, was sie gern gefunden hätte – die knarzenden Treppenstufen, noch einmal diese furchtbare Angst, dieses Risiko, nein.
    Draußen, im Hof, fiel es ihr ein, und sie musste unwillkürlich lächeln. Mick hatte am Ende ihrer Ehe so gerochen, ein, zwei Jahre lang.
    »Pascha« von Cartier, der Duft des Mörders.

    Am Tor standen weitere Schutzpolizisten, Blaulichter flackerten, drei, vier Streifenwagen. Bermanns Leute konnten es noch nicht sein. Offenbar hatten Oertel und Simon Kollegen aus dem Suchtrupp vom Rhein herübergeholt.
    »Bonì«, sagte Oertel und schüttelte den Kopf.
    »Ist er drin?«, fragte Simon.
    »Ich weiß es nicht. Unten jedenfalls nicht.«
    Mit zitternden Gliedern kletterte sie über das Tor. Simon half ihr hinunter. Sekundenlang blieb sie an seinem warmen, dicken Bauch stehen, klebte sich einfach an ihn, an seine Kraft, seine Frische, seine wundervolle Unbeholfenheit. Als er erstaunt zurückwich, legte sie die Arme um ihn, und es war beinahe so, als würde sie Hollerer umarmen, den guten, alten, traurigen Johann Georg Hollerer, den sie vor zwei Jahren in Konstanz am Bodensee aus der Vergangenheitsbewältigung und der Rekonvaleszenz gerissen hatte.
    Ein Simon aus Breisach tat es für den Moment auch.
    Sie hörte und spürte, dass Simon sich räusperte. Der Bauch spannte sich, etwas dröhnte da

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