Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
raschelte, klirrte, dann ein Schneuzen, ein Räuspern. »Entschuldigen Sie.«
»Sie wissen, was ihr zugestoßen ist?«
Rohmueller bejahte. Reinhard Graeve hatte ihm mitgeteilt, in welchem Zustand Nadine in der Scheune gefunden worden war und dass sie erneut verschwunden war. Und er hatte ihm mitgeteilt, dass sie Eddies Leiche entdeckt hatten. Seitdem … Nun, seitdem gingen sie die Dreisam entlang, er und Cesare, und versuchten, sich abzulenken. »Was ist kompliziert?«
»Ich glaube, dass es sich um mehrere Täter handelt. Mindestens drei. Täter, die womöglich … Beziehungen haben.«
Rohmueller sagte einen Moment lang nichts.
Neuf-Brisach im Norden, sie fuhr über flaches, fast baumloses Land. Fünfzehn, zwanzig Kilometer Luftlinie entfernt begannen die Hügelketten der Vogesen, davor lag Colmar. Plötzlich kehrte die Angst zurück. Wenn sie recht hatte, war er nach Colmar gefahren. War seit einer halben, dreiviertel Stunde dort.
»Beziehungen?«
»Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr sagen, und ich habe auch keine Zeit dafür. Gehen Sie in Ihr Hotel zurück. Ein Freund von mir wird Sie abholen und ….«
»Ein Freund von Ihnen?«
»Er wird Sie zu mir bringen, und ich werde Sie zu Nadine bringen.«
»Das klingt alles sehr … merkwürdig.«
»Ist es auch«, sagte Louise.
»Colmar«, sagte Ben Liebermann.
»So schnell wie möglich. Kannst du das für mich tun?«
Das Bett knarzte und krachte. Natürlich konnte er.
»Nimm deine Waffe mit.«
Ben Liebermann schwieg.
»Nur für alle Fälle.«
»Du weißt, was du tust?«
»Ja.«
»Gut. Wie heißt der Hund?«
20
gegen viertel nach zwei tauchten die ersten Häuser von Colmar auf. Als Kind war sie mit ihren Eltern und Germain hier gewesen, als Ehefrau mit Mick, beide Male nur für ein paar Stunden, beide Male war sie auf dem Chateau d’Hohlandsbourg gewesen, das irgendwo über der Stadt inmitten der grünen Hügel lag. Sie sah zwei laufende Kinder, zwei streitende Eltern, hatte für einen Moment den Duft von Kougelhopf in der Nase. An die Stunden mit Mick erinnerte sie sich kaum, der Zorn und die Enttäuschung hatten das meiste weggespült. Vage Bilder einer niedlichen, bunten, von Menschen überfüllten Altstadt waren geblieben, schmale Wasserkanäle, Blumenkästen an den Geländern, tiefe Markisen, Fachwerkhäuser in der Altstadt.
Der Navigator des Peugeot führte sie zu einem dieser Fachwerkhäuser.
Das Haus lag an einem kleinen Platz mit Brunnen, an dem die Fußgängerzone in eine verkehrsberuhigte Straße mündete. Ein fast verwunschenes, rosafarbenes Gebäude mit blassblauen Fensterläden, drei Stockwerke unter einem spitzhutähnlichen Dach, im Erdgeschoss ein Bekleidungsgeschäft. Die Wohnung befand sich, Alfons Hoffmann zufolge, im zweiten Stock. Drei Fenster auf der schmaleren Frontseite, vier auf der Seite zur befahrenen Straße.
Sie hatte mit einem von Chervels Männern von der Kripo Mulhouse telefoniert, Henri. Seit etwa zehn Minuten beobachteten die Franzosen das Haus. Hin und wieder ein Kunde im Geschäft, hatte er gesagt, das Haus selbst hatte niemand betreten. Und sonst – auf dem Platz und der Straße nur Touristen und einheimische Passanten. Keine alten Damen mit einer jungen Frau, kein roter Kombi, kein auffälliger Mann.
Dabei, dachte sie, musste er hier sein.
Nicht vergessen, hatte Henri abschließend gesagt, du bist in Frankreich. Nicht dein Territorium.
Sie hatte das Auto eine Querstraße weiter abgestellt und war zurückgegangen. Henri saß im ersten Stock eines Cafés gegenüber dem rosafarbenen Haus am Fenster. Eine Hand bewegte sich flüchtig, als sie darauf zuging.
»Und jetzt?«
»Warten wir.«
Henri nickte zögernd. Er hatte ein schmales, blasses Gesicht, eine Brille mit Stahlbügeln, wirkte eher wie ein Mathematikstudent als wie einer von Chervels Bullen. Sie schätzte ihn auf dreißig. Sein Französisch klang nach dem Süden, nach Küste. Marseille vielleicht.
Nicht dass sie Dialektexpertin gewesen wäre.
»Wo ist dein Kollege?«
»Noureddine? Mal hier, mal da. Läuft herum.« Henri zuckte die Achseln. Sie fand, dass er sich ein wenig zu lässig gab. Ein wenig zu professionell. Einer, der glaubte, wichtig zu sein. »Das machen sie gern, die Algerier, viel herumlaufen. Was zu trinken? Trinken darfst du ohne Rechtshilfeersuchen.«
Sie zeigte auf das Fläschchen Perrier, das vor ihm stand. »Wie du.«
Er winkte einen Kellner herbei, bestellte.
»Der zweite Stock, oder?«
»Ja.« Sie sah auf das Haus
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