Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
Tagen nicht daran denken würde. Die Hand mit der Gießkanne zitterte. Sogar hier, am sichersten Ort der Stadt, hatte sie Angst vor Nicolai.
Vielleicht auch nur das schlechte Gewissen.
Das kannst du mir nicht antun. Nach all den Jahren.
Sie setzte sich wieder.
Die Formalitäten waren schnell erledigt gewesen, nachdem Andrele erst einmal begriffen hatte, dass Louise der Versuchung nicht erliegen, sondern sich selbst anzeigen würde. Ein Deal wie vor zweieinhalb Jahren an einem Wintersonntag, damals mit Rolf Bermann: Heute noch im Dienst, ab morgen, wenn auch nicht krankgeschrieben, so doch suspendiert, nach entsprechenden Gesprächen mit der Dezernats- und der Kripoleitung.
Bis dahin behielt sie ihre Marke und ihre Waffe.
Ein leises, rhythmisches Tropfen hatte eingesetzt. Aus einem der Pflanzenuntertöpfe floss Wasser. Auf dem Fußboden unter dem Fensterbrett wuchs eine kleine Pfütze heran. Sie ließ sie wachsen.
Ein Kreis schien sich zu schließen – sie war wieder dort angelangt, wo sie vor zweieinhalb Jahren gewesen war. Was hatten der Entzug, die Monate Entwöhnung im Kanzanan, die Gespräche mit Katrin Rein, der Psychologin, die sieben Monate mit Ben Liebermann gebracht, wenn sie nun wieder vor dem Abgrund stand? Wenn sie sich hinreißen ließ, im Dienst einen Kollegen schlug, alles aufs Spiel setzte, nur weil sie die Kontrolle verlor?
Immerhin, in Bezug auf den Alkohol hatte sie die Kontrolle nicht verloren.
Und das, dachte sie, war der Unterschied zu früher. Darauf ließ sich doch aufbauen, für die Zeit danach.
Die Pressekonferenz in der Cafeteria der Polizeidirektion war ein erster Hinweis auf das, was in den nächsten Tagen kommen würde. Freiburg hatte seinen monströsen Skandal – ein Kripobeamter als Menschenräuber und Vergewaltiger.
Um die sechzig Medienleute, so viele, wie seit Jahren nicht mehr. Die Luft stickig, das Neonlicht zu grell, und weil in der Eile zu wenige Stühle herangeschafft worden waren, mussten manche stehen. Fragen über Fragen, provozierend, konfrontierend, manchmal aggressiv oder höhnisch. Schon wieder neue Fragen, wenn die Antworten kaum zu Ende formuliert waren, vor allem die, dass man erst in den nächsten Tagen ausführlich antworten könne.
Vorwürfe von Vertuschung, schlechter Polizeiarbeit, Verschleppung der Ermittlungen standen im Raum. Manches, fand Louise, mussten sie sich ankreiden lassen, manches war schlicht lächerlich. Aber die Reporter kannten eben die Chronologie der Ermittlungen nicht.
Andrele, Graeve und Vormweg blieben ruhig, verloren die Kontrolle nicht, die Pressesprecherin ging im schnellen Hin und Her ein wenig unter. Rolf Bermann, der erst um 21.40 Uhr in der PD eingetroffen war, hatte sich nur mit größter Mühe im Griff und nicht in jedem Moment. Sein Gesicht war zorngerötet, zwei-, dreimal blaffte er einen Fragesteller an. Aber, dachte Louise, die nahe der gläsernen Eingangstür stand, vielleicht war das auch gar nicht einmal schlecht. Andrele, Graeve und Vormweg war nicht anzumerken, wie sehr sie die Tatsache belastete, dass es nun um einen der Ihren ging, Bermann schon.
Doch das war es wohl nicht allein. Immer wieder schaute Bermann zu ihr, und sie ahnte, dass er an Frank Nicolai dachte. Nicolai, der nach ihrem Namen und ihrer Adresse gefragt hatte.
»Und der dritte Mann? Was können …«
»Hab ich nicht schon dreimal gesagt, dass wir zu ihm noch nichts sagen können, weil er noch flüchtig ist?«, knurrte Bermann.
»Ich möchte nur …«
»Hab ich oder hab ich nicht?«
»Ja, aber …«
»Haben Sie’s immer noch nicht verstanden?«
»Ich will doch nur …«
»Nächste Frage«, sagte Andrele.
»Die Dame in der grünen Bluse«, sagte die Pressesprecherin.
Eine dunkle, angenehme Frauenstimme, eine mitfühlende Frage, wie geht es Nadine Rohmueller?
Während Graeve antwortete, wanderte Bermanns Blick über den Raum, blieb wieder auf ihr liegen.
Er kam gegen halb elf.
»Wir haben keine Ahnung, wo das Schwein ist.«
Sie nickte schweigend.
Er setzte sich auf Thomas Ilic’ Stuhl, drehte sich ein paar Zentimeter nach links, ein paar nach rechts. »Die Franzosen haben seinen Wagen in Colmar gefunden. Seine Frau weigert sich, uns zu helfen. Engele sagt, er hat keine Ahnung, wo er sein könnte, er hat ihn vor der Party jahrelang nicht gesehen.«
»Er hat Meirich aus Deutschland angerufen. Er ist irgendwo in der Nähe.«
»Ja«, sagte Bermann und drehte sich nach links, nach rechts. Er starrte auf das Poster mit den
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