Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
asiatischen Kindern. Schließlich sagte er: »Du kommst heute mit zu uns.«
»Danke. Ich schlafe bei Ben.«
Bermann sah sie an. »Und wer ist das jetzt? Der Mann deines Lebens?«
Ja, dachte sie, wer war Ben Liebermann? Ein Mann in ihrem Leben, seit ein paar Monaten. Der einzige Mann in dieser Zeit. Das hieß viel und wenig zugleich, und es war feige, es so zu nennen, doch alles andere klang, wenn man vierundvierzig war, allzu lächerlich. Mein Freund. Mein Partner.
»Einer von uns«, sagte sie. »War früher bei der Kripo und dann für den Bundesgrenzschutz in Israel und auf dem Balkan. Ich hab ihn letztes Jahr in Kroatien kennengelernt.«
Bermann grinste flüchtig. »Du warst letztes Jahr nicht in Kroatien. Also kannst du da auch niemanden kennengelernt haben. Also gibt es ihn nicht. Du schläfst bei uns.«
Sie lächelte. Der gute, alte Rolf Bermann.
Schon seltsam, dachte sie. Die Männer in ihrem Leben kamen und gingen, wer blieb, war immer nur Rolf Bermann.
Ausgerechnet.
31
Es regnete in Strömen, als sie kurz vor Mitternacht in St. Georgen eintraf. Sie parkte wie immer auf der anderen Straßenseite, machte es sich wie immer im Sitz bequem, sah wie immer auf das Wächterhäuschen. Ein vertrauter Anblick mittlerweile, das helle Rechteck in der Dunkelheit jenseits der Wasseradern auf der Windschutzscheibe. Ben Liebermanns verschwommene Konturen, auf dem Kopf saß diesmal die Uniformmütze. Sie lächelte. Von einem Moment auf den anderen breitete sich ein Gefühl der Ruhe in ihr aus. Angekommen, irgendwo.
Als das Handy fiepte, griff sie nach ihrer Handtasche und den in Alufolie eingewickelten Ćevapčići und stieg aus. Der Regen trommelte auf den Schirm, in der Ferne Mitternachtsläuten. Vorsichtig, um nicht in Pfützen zu landen, überquerte sie die Straße. Sie liebte dieses merkwürdige Ritual, so unvollkommen und provisorisch und dürftig es auch war, und mochte es auch in Strömen regnen. Mitternacht in Freiburg-St. Georgen, zwei, die nicht so genau wussten, wohin mit sich im Leben, trafen sich auf einem leeren Parkplatz und fühlten sich wohl dabei.
Ein Wagen fuhr hinter ihr vorüber, bog auf den Parkplatz ein, auf dem bereits zwei Autos standen. Hochbetrieb in St. Georgen … Ben Liebermann schien sich zu bewegen, die Mütze in die Stirn zu ziehen, genau war das durch die Regenwand nicht zu erkennen. Zum ersten Mal würde sie ihn nun also in Aktion sehen, mal was Neues im vertrauten Ritual. Sie blieb ein paar Meter seitlich vor dem Wächterhäuschen stehen, um nicht zu stören. Warm lagen die Ćevapčići in ihrer Hand, nun ja, lauwarm bestenfalls, aber wag es, dich zu beschweren, Ben.
Der Wagen hielt auf einem Stellplatz, ein Mann stieg aus, ging auf die Front des Häuschens zu. Sie sah die Pistole erst, als der Mann den Arm hob, drei, vier Meter von Ben Liebermann entfernt. Kaum eine Sekunde später donnerte ein Schuss durch den Regen und das Glockenläuten, und Ben Liebermann wurde nach hinten gestoßen, dann noch ein Schuss und noch einer, da musste er schon am Boden liegen, war aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Sie hatte Schirm und Ćevapčići fallen gelassen, griff eben nach der Handtasche, als sich der Mann zu ihr umwandte, die Waffe auf sie richtete. Noch immer ging er, jetzt in ihre Richtung, und sie dachte, dass es zu spät war, für alles zu spät, zu spät, um an ihre Pistole zu kommen, zu spät, um zu schreien, zu spät für sie und Ben Liebermann.
»Hallo, Louise«, sagte der Mann, da hatten die Beine schon unter ihr nachgegeben.
Er zog sie hoch, nahm ihre Handtasche an sich. Für einen Moment hatte sie den Duft in der Nase, schon fast verflogen, aber noch erkennbar, »Pascha« von Cartier.
Mick, dachte sie. Ist doch nur Mick.
Sie schluckte den Brechreiz hinunter.
»Ich dachte, es wird Zeit, dass wir uns mal kennenlernen. Jetzt, wo alles vorbei ist. Denkst du das nicht auch, Louise?«
Sie antwortete nicht. Sie hatte zu zittern begonnen, spürte den kühlen Regen auf dem Gesicht, dem Kopf, ganz plötzlich fror sie. Ist doch nur Mick, dachte sie wieder. Ihr Blick glitt zu dem Wächterhäuschen. Ein helles Rechteck im Dunkel, ganz wie vorhin, doch in der Rückwand war jetzt ein Sprung im Glas.
»Na, denkst du das nicht auch?«, wiederholte Frank Nicolai.
Sie fiel wieder auf die Knie, übergab sich.
Nicolai lachte leise.
Als sie fertig war, reichte er ihr ein Papiertaschentuch. Auch das Taschentuch schien den Geruch nach »Pascha« zu verströmen, noch süßlicher und
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