Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
früh.
Blieb die Polizeidirektion, dort war ohnehin etwas zu erledigen.
Und um Mitternacht St. Georgen und Ben Liebermann und alles andere vergessen.
Sie wandte sich um, sah Löbinger an. »Weißt du, wo ich gute ´Cevapc?ic´i bekomme?«
Sekunden verstrichen.
»Nein«, sagte Löbinger.
Meirich drehte den Kopf in ihre Richtung. »Versuch’s im Tennenbacher. Ist ganz in der Nähe. Tennenbacherstraße. Richtung Bahnhof, die erste rechts.«
»Tennenbacherstraße«, wiederholte sie.
Meirich nickte.
»Du kannst nicht heim, bevor wir ihn haben«, sagte Löbinger.
»Ich weiß.« Sie stieg über DVDs, Bücher, Kleidung. An der Zimmertür hielt sie inne. »Wie ist Nadine rausgekommen? Aus dem Keller?«
Sonntagnachmittag gegen zwei, sie hatten Hunger gehabt. Haberle war losgefahren, er, Meirich, hatte in der Wohnung geduscht, Frank hätte unten aufpassen sollen und war eingeschlafen. Als Haberle mit Semmeln und Kaffee zurückkam, war Nadine fort.
Sie hatten stundenlang nach ihr gesucht, dann waren sie auf die Scheune bei Grezhausen gestoßen. Er, Meirich, hatte das Blut entdeckt. Sie hatten weitergesucht, im Wald, am Rhein. Irgendwann waren Haberle und Meirich zur Scheune zurückgekehrt. Dort waren sie dann auf Eddie gestoßen. Sie hatten mit ihm gesprochen, er war davongelaufen in Richtung Rhein, sie hatten Nicolai angerufen, der hatte ihn abgefangen.
Louise nickte. »Und wenn Nadine nicht geflohen wäre? Was hättet ihr dann mit ihr gemacht? Mit ihr gefrühstückt und sie nach Hause gebracht?«
Meirich sagte nichts. Er musste nicht antworten, die Antwort lag auf der Hand.
Meirich, der Polizist, der gewusst hatte, was geschehen würde, wenn sie Nadine am Leben ließen, Haberle, der so leicht in Panik geriet, der unberechenbare Frank. Zwei, die sich weggedreht hätten, einer, der es zum Abschluss gebracht hätte.
»Ich glaube, er wollte es von Anfang an«, flüsterte Meirich. »Er wollte sie nicht nur … vergewaltigen. Er wollte sie töten.«
»Und jetzt will er mich töten«, sagte Louise.
30
»Dafür ist jetzt keine Zeit«, sagte Marianne Andrele.
Sie saßen im Büro von Andrele, die sich mittlerweile die Haare neu frisiert und umgezogen hatte – dunkler Rock, dunkle Bluse, goldene Brosche. Für 21.30 Uhr war eine Pressekonferenz anberaumt worden, auf dem Podium Andrele, Bermann und die Pressesprecherin der Polizeidirektion. Auch Reinhard Graeve, der Kripochef, und Hubert Vormweg, der Leiter der Polizeidirektion, würden anwesend sein. Pausenlos gingen Presseanfragen ein, unten vor dem Eingang standen Reporter und Kamerateams. Es gab viel zu erklären. Drei Männer hatten ein Mädchen entführt, vergewaltigt, halbtot geschlagen, einer von ihnen war Kripobeamter.
»Sie verstehen, was ich damit sagen will?«, fragte Andrele kühl.
Louise verstand. Jetzt war dafür keine Zeit, und in zwei Minuten war es vergessen, für alle Zeiten. Es war nie geschehen. Es blieb ein Geheimnis.
»Ich möchte anders sein«, sagte sie.
Andrele sah sie fragend an.
»Ich dachte, ich wäre anders. Aber ich bin es nicht.«
»Anders als wer?«
»Anders als … die anderen. Anders, als ich bin.«
»Und wie wollen Sie sein?«
»Ich möchte keine Fehler machen.«
»Ein hoffnungsloses Unterfangen.«
»Ja«, sagte Louise.
»Denken Sie daran, um wen es geht«, sagte Andrele. »Um einen Polizisten, der zwei der schlimmsten Straftaten begangen hat, die man begehen kann, Menschenraub und Vergewaltigung. Dass er Polizist ist, macht es noch schlimmer.«
»Es geht nicht um Meirich, sondern um mich.«
»Nur weil Sie es so sehen wollen. Weil Sie sich das Leben noch ein bisschen schwerer machen wollen.«
»Vielleicht. Aber ich möchte keine Geheimnisse haben, um leben zu können. Ich möchte nicht bequem sein. Ich möchte konsequent sein.«
Andrele stand auf, schob Unterlagen zusammen. »Sie sehen furchtbar aus, und Sie hören sich furchtbar an. Setzen Sie sich ins Auto, fahren Sie zu Ihrer Familie nach Frankreich. In einer Woche kommen Sie wieder. Dann haben wir Nicolai, und die Welt sieht wieder besser aus.«
»Setzen Sie sich«, sagte Louise.
Anschließend ging sie in ihr Büro.
Thomas Ilic war fort. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, starrte auf die Lehne seines Stuhls. Sie fragte sich, ob er nach Hause gegangen war. Wann sie ihn wiedersehen würde.
Entscheidungen, Abschiede, Abschlüsse.
Sie stand auf, goss die zwei, drei Zimmerpflanzen, um irgendetwas zu tun und für den Fall, dass Thomas Ilic in den nächsten
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