Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
lachte leise.
Sie verdrängte die Angst, die Schmerzen und stieg aus dem Kofferraum. Nicht mehr da drinnen liegen wie Annetta. Sie ging zwei, drei Schritte auf Nicolai zu.
»Wenn so etwas geschieht, merkt man plötzlich, was in einem drin ist, Louise. Was all die Jahre da war, ohne dass man es gespürt hat. Ja, komm her zu mir …«
Sie machte einen weiteren Schritt in seine Richtung. Wichtig war nur, dass sie zwischen ihm und dem Kofferraum stand. Wenn der Wagen erst einmal brannte …
»Erst dachte ich, die Stunden mit dem Mädchen wären der Kulminationspunkt. Der Höhepunkt des magischen Moments. Als ich mit ihr tun konnte, was ich wollte, weißt du …«
»Ein wehrloses Mädchen quälen.«
Sekunden verstrichen, ohne dass Nicolai sprach. Sie glaubte, ein Knistern zu hören, wie von brennendem Papier.
»Das war das Problem«, sagte Nicolai.
Er hatte gewollt, dass sie sich wehrte. Hatte sie geschlagen, getreten, immer heftiger, damit sie sich wehrte. Er hatte gewollt, dass sie sich wehrte, um selbst die Kontrolle zu verlieren. Um in einen Rausch aus Gewalt und Gegengewalt zu geraten, in dem alles möglich war, auch die eigene Niederlage. Um in einer Spirale der Ekstase, des Kontrollverlustes, der blanken Raserei die eigene Bestimmung zu erkennen. Hinauszulassen, was in ihm war.
Doch sie hatte sich nicht gewehrt. Er hatte die Kontrolle nicht verloren.
»Langweilig, letztlich, Louise. Wie das ganze Leben.«
Sie dachte über dieses Wort nach. Langweilig. Ein stundenlanger Albtraum für Nadine, für Nicolai am Ende langweilig. Der Täter musste Spaß am Quälen haben, hatten sie gedacht und sich ganz offensichtlich getäuscht. Für Nicolai erfüllte das Quälen nur dann einen Zweck, wenn es Widerstand hervorrief. Wenn nicht, empfand er es als langweilig.
Was für ein grauenhaftes Wort.
Sie hob die Hand an die Augen. »Das Licht stört mich.«
Der grelle Kreis senkte sich ein wenig, kam auf ihrem Oberkörper zu liegen. Jetzt konnte sie Nicolai erkennen, ein dunkler Schemen über dem Licht. Er hatte den Kopf leicht schief gelegt, als musterte er sie nachdenklich.
»Aber für eines war das Mädchen gut«, sagte er. »Plötzlich erkannte ich, worauf ich die ganzen Jahre hingelebt hatte, Louise. Ich wusste plötzlich, was in mir war. Und das muss man rauslassen, findest du nicht? Das, was in einem ist.«
»Gewalttätigkeit?«
»Gewalt, Lust, Liebe.«
»Wie bitte? Liebe?«
»Ja, Louise. Man liebt, wenn man küsst, oder nicht? Wenn man den anderen berührt, dann liebt man, zumindest für ein paar Sekunden oder Minuten … Gemeinsam untergehen in Lust, Gewalt und Liebe, das wollte ich.«
»Aber Nadine hat nicht mitgemacht, indem sie sich nicht gewehrt hat.«
Sie sah, wie er die Achseln zuckte. »Sie war paralysiert vor Angst.«
»Trotzdem haben Sie weitergemacht.«
»Konnte ich das vorher wissen? Und ich muss zugeben, ein bisschen Spaß hatte ich schon. Vor allem, als ich gesehen habe, wie Dietmar und Hans sich angestellt haben.« Er lachte. »Gibt es etwas Lächerlicheres als einen Mann, der auf einer Frau herumzappelt? Was für primitive Kreaturen. Alles, was für die zählte, war, den Schwanz einmal im Leben in ein verbotenes Loch zu stecken, Louise. Mehr nicht.«
Jetzt nahm sie den Geruch von verbranntem Papier wahr. Flammen knisterten. Auch Nicolai schien es zu bemerken. Die Lichtquelle bewegte sich seitlich um sie herum, dann auf den Wagen zu. Der Lichtpunkt blieb auf ihr.
Nicolai kicherte. »Oh, du hast ein Feuer gelegt, Louise. Denkst wohl, das wird schon wieder, was? Denkst du, du kommst hier raus, und alles wird wieder wie früher?«
»Ja«, sagte sie.
Ein kleines Feuer, das kaum über den Rand des Kofferraums hinausreichte. Die alte, modrige Decke brannte nicht. Im Widerschein der Flämmchen sah sie Nicolais Hüfte, seine Hand. Er nahm die Decke, warf sie auf die Flammen, schlug den Kofferraumdeckel zu.
»Tapferes Mädchen.«
Das Licht der Taschenlampe glitt über ihren Körper.
»Tapferes altes Mädchen. Wie alt bist du? Ende dreißig? Hast dich gut gehalten, Louise, das muss man sagen. Dem Dietmar wärst du trotzdem zu alt gewesen. Der Hans würde dich nehmen, wenn er könnte, aber bis der könnte, würden Ewigkeiten vergehen, und was du alles anstellen müsstest, bis er endlich einen hochkriegen würde …« Er lachte.
Er stand jetzt richtig. Das Licht der Lampe zeigte in Richtung Straße und Ort. Wer draußen unterwegs war, würde es durch die Ritzen und Scharten der
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