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Jäger und Gejagte

Jäger und Gejagte

Titel: Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nyx Smith
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einem Zauberkundigen jeder Tradition benutzt worden sein, aber die Kräuter und Zweige lassen auf einen Schamanen schließen, und das ist beunruhigend. Er fühlt sich an den angeblichen ›Revisor‹ erinnert, der Amy Berman bei der Befragung von Ben Hill geholfen hat. Die Aura dieses Revisors war maskiert, was nur ein Initiat kann, und Liron hat einen kurzen Blick auf die Wahrheiten werfen können, die sich hinter dieser Maske verbargen. Was er gesehen hat, ließ auf die geistige Exzentrizität schließen, die im allgemeinen für Schamanen charakteristisch ist. Das hat ihm zu denken gegeben. Er kennt zwar einige wenige Schamanen, die eine behagliche Nische innerhalb der Konzernbürokratie gefunden haben, aber Schamanen sind im allgemeinen viel zu besessen von ihren Kinkerlitzchen und Totems, um noch anderen Dingen Beachtung zu schenken.
    Die Frage, die sich Liron jetzt stellt, lautet, ob es möglich sein kann, daß dieser angebliche Revisor derjenige ist, der in sein Allerheiligstes eingedrungen ist. Er drückt die Tasten an seinem Computer, die das Programm starten, um mit der Chefassistentin der Metawissenschaftsgruppe Kontakt aufzunehmen, egal wo sie sich gerade befindet. Germaines Züge nehmen ein paar Augenblicke später auf seinem Monitor Gestalt an. »Ja, Dr. Phalen?«
    »Meine Liebe, ist es möglich, daß unsere Muttergesellschaft ein paar Leute geschickt hat, die unsere Unterlagen durchsehen?«
    »Dr. Phalen, das habe ich Ihnen doch erzählt«, sagt Germaine, die plötzlich ziemlich nervös zu sein scheint. »Ich meine, ja. Wissen Sie nicht mehr? Ich habe es Ihnen gesagt. Ich meine, ich dachte, ich hätte. Im Hauptquartier ist eine ganze Armee von KFK-Revisoren. Deshalb schnüffelt Amy Berman ja auch herum ...«
    »Ja, gewiß«, sagt Liron lächelnd. Er wollte nur eine Bestätigung. »Sie sind sicher, daß es sich dabei um Leute von KFK handelt?«
    »Ja, absolut. Ich habe eine Freundin im Hauptquartier.«
    »Danke, meine Liebe.«
    Dann besteht das Problem also nicht etwa darin, daß einer von Hurley-Coopers Direktoren zu einem persönlichen Kreuzzug aufgebrochen ist, sondern vielmehr darin, daß KFK-Leute, Revisoren, Schamanen, was auch immer, Dinge aufrühren und viel zu naseweis werden. Er wird deswegen - und auch wegen des Schamanen - etwas unternehmen müssen. Die Arbeit eines halben Lebens hängt davon ab.
    Ms. Berman müßte auf jeden Fall ein guter Anfang sein.

54
     
    Der Schreibtisch sieht wie polierter schwarzer Marmor aus. Der verchromte Namenszug an der vorderen rechten Ecke wirkt wie ein Warnschild: Mercedes Feliz, Verwaltungsdirektor. Die Frau, die zu dieser Legende gehört, sitzt aufrecht hinter dem Schreibtisch, die Schultern ein wenig zurückfallend, die Hände auf dem Schreibtisch gefaltet.
    Sie sieht nicht wie eine Frau mit Herz aus. Ihr grellweißes Haar, das kurz, aber so geschnitten ist, daß ihr eine Welle im Elektromag-Stil schroff in die Stirn fällt, betont nur die spitzen Winkel ihres schmalen Gesichts. Die Gläser ihrer Porsche-Datenbrille sind immer auf Schwarz oder chromversilberte Spiegel eingestellt. Das Gesicht hinter dieser Brille bleibt bis auf eine gelegentliche Zurschaustellung mißbilligender Gefühle in der Regel ausdruckslos. Sie trägt hochmoderne Execmode der Marke Dunhill UltraMana: nadelspitze Kragenenden, reflektierende Revers. Ihre Fingernägel sehen aus wie zehn kleine Spiegel und sind zu messerscharfen Spitzen zugefeilt. Ihre Lippen scheinen für immer und ewig zu einem tadelnden Schmollmund erstarrt zu sein.
    Aber all das ist irreführend, wie Amy weiß. Mercedes Feliz ist eine ganz besondere Art Pinkel. Anders als Hurley-Coopers Geschäftsführer würde sich Feliz nicht erniedrigen, indem sie vor den Abgesandten ihrer Muttergesellschaft katzbuckelt. Sie ist niemandes Stiefellecker. Sie glaubt zwar, daß der Konzern an erster Stelle stehen muß, jawohl, aber ihre Abteilung des Konzerns muß an allererster Stelle stehen, und für die richtige Sache würde sie mit Klauen und Zähnen kämpfen.
    Sie begreift die Bedeutung von Leuten. Sie weiß, daß die Leute am besten für Organisationen arbeiten, die ihre Angestellten wie wertvolle Ressourcen behandeln.
    »Sie machen Ausflüchte«, sagt Feliz. »Natürlich unabsichtlich, wie ich annehme.«
    »Es tut mir leid.«
    »Sagen Sie einfach, was Sie mir zu sagen versuchen.«
    Amy holt tief Luft, ringt mit ihrem Gewissen. Sie hat das Gefühl, als verrate sie nicht nur sich selbst, sondern auch die Angestellten von

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