Jäger und Gejagte
dieser Gasse«, sagt die Stimme. »Als du ihn umbrachtest, hast du mir damit alles genommen, das mir etwas bedeutete.«
Tikki fragt sich, was das jetzt wieder zu bedeuten hat.
Es hört sich fast nach Kummer an.
61
Mein Standpunkt ist einfach der, Liron, daß ein Gestaltwandler eine Sprosse auf der intellektuellen Leiter höher steht als die meisten anderen paranormalen Spezies. Es liegt nicht nur daran, daß sie menschlich aussieht, wenn sie sich verwandelt. Ihr Verstand mag völlig fremdartig für uns sein, aber ich glaube, daß ihre Intelligenz der eines Metamenschen entspricht. Und ich glaube, daß sie daher auch dieselben Rechte wie ein Metamensch haben sollte.«
Als er seine kleine Ansprache beendet hat, zwingt sich Ben, wieder auf den Schirm seines Schreibtischterminals zu schauen. Sein Magen brennt, und seine Nasenhöhlen sind verstopft, und er weiß bereits, was Liron Phalen sagen wird. Sie haben diese Diskussion schon öfter geführt, immer mit demselben Ergebnis. Liron betrachtet ihn ein paar Augenblicke vom Bildschirm aus und sagt dann ruhig: »Unsere Forschung erfordert nun mal, daß wir gewisse Opfer bringen, Ben.«
Ben nickt. »Ja, natürlich. Ich weiß.«
»Du solltest dich nicht mit solchen Fragen belasten. Wir haben keinen eindeutigen Beweis, daß Gestaltwandler intelligent sind. Bis zu diesem Augenblick haben wir nur unsere einleitenden Testergebnisse, die darauf hindeuten, daß unsere Matrix - Striper? - vielleicht mehr ist als ein ungewöhnlich großer, merkwürdig gefärbter, aber ansonsten völlig normaler Tiger. Du regst dich völlig grundlos auf.«
Die Tatsachen lassen sich nicht bestreiten. Die finstere Königin hat ihre Geheimnisse gehütet. Striper hat seit ihrer Ankunft hier im Labor nichts Verständliches gesagt und auch keine gestaltwandlerischen Fähigkeiten demonstriert. Ben müht sich, eine neue These im Hinblick auf Stripers Intelligenz zu formulieren, aber nun, wo ihm Lirons Gesicht vom Bildschirm entgegenstarrt, ist sein Verstand einfach wie leergefegt, wie es wohl auch sein sollte. Seine Position ist unhaltbar. Warum gibt er sie nicht einfach auf?
»Setz das Testprogramm einfach wie besprochen fort.«
»Ja, natürlich.« Ben nickt.
Der Schirm wird schwarz.
Ben nimmt eine Injektionspistole aus der obersten linken Schublade seines Schreibtisches, setzt sich die Spitze an den Hals und drückt ab. Die Lösung, die in seinen Blutkreislauf eindringt, ist zum Teil entzündungshemmend, zum Teil magensäureneutralisierend und zum Teil beruhigend. Sie ist das einzige, was ihn noch auf den Beinen hält.
Er drückt die entsprechenden Tasten, um die Verwaltungsassistentin der Gruppe anzuwählen. »Ist das Team schon versammelt?«
»Die Leute machen sich gerade fertig, Dr. Hill«, erwidert Germaine.
»Ich bin schon unterwegs.«
Der Gang zu Labor 6E dauert nur ein paar Augenblicke. Der Vorbereitungsraum scheint mit Leuten überfüllt zu sein, die ihn alle ansehen und nur auf ihn warten, um anfangen zu können. Abgesehen von seinen Kollegen und einigen Techs sind auch der Kopfgeldjäger Tang und jetzt nicht mehr nur eine, sondern zwei Partnerinnen von ihm anwesend, beide ebenfalls Elfen.
Tang zeigt auf den Innenraum, der einmal Teil eines Labors zur Erforschung des Schlafes war. »Sorgen Sie dafür, daß dieser Raum mit Ihrem Gas geflutet wird, Doktor. Und halten Sie die Tür geschlossen.«
Ben nickt. »Ja, das ist die Vorgehensweise.«
»Das war die Vorgehensweise beim letztenmal. Zwei von Ihren Leuten hätten es beinahe nicht geschafft. Wenn die Luft nicht ständig mit dem Gas gesättigt ist, wird die Tigerin Sie in Stücke reißen.«
Ben nickt, und sein Magen verkrampft sich. »Mittlerweile haben wir das alle begriffen.«
»Das hoffe ich.«
Ben dreht sich um und betritt den zentralen Überwachungsraum. Germaine sitzt an der Hauptkonsole und beobachtet die Bildschirme. Die finstere Königin auf dem Hauptschirm sieht nicht nur wach, sondern im höchsten Maße aufmerksam aus. Sie sitzt aufrecht auf den Hinterpfoten neben der einzigen Tür des Raumes und läßt eben diese Tür nicht aus den Augen. Ihre Lebenszeichen sind stark. »Leiten Sie das Gas ein«, sagt Ben.
»Was? Was soll ich tun?«
Germaine sieht ihn mit einer Miene an, in der Verblüffung zu liegen scheint. Ben erkennt seinen Irrtum. Er fühlt sich, als wäre er im Halbschlaf, wie in einem bösen Traum. »Tut mir leid, Germaine«, sagt er. Er ringt sich ein Lächeln ab. »Ich nehme an, ich bin einfach zu
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