Jäger und Gejagte

fragt Ivar laut, weil es so üblich ist.
    Links von ihm öffnet sich ein leuchtend pinkfarbenes Fenster. Ein fetter Ire kichert. Das Fenster verschwindet. Vielen Dank, Hacker House.
    Ivar rast durch das regionale Telekommunikationsgitter und in das Newarker LTG, wo er direkt in das Vaux Hall Piratennetz eintaucht. Der Knoten blitzt vor ihm auf. Er hat wieder seine Barbarengestalt und steht auf dem Achterdeck eines Piratenseglers mit gehißter schwarzer Flagge, der durch ein rauchverhangenes Meer stampft und schlingert. Kanonenicons donnern. Ein glänzend silberner Captain Blood führt eine Mann schart von Piratenicons an, um ein längsseits liegendes Schiff zu entern. Ivar wendet sich an den Burschen am Steuerruder, der ein Messer zwischen die Zähne geklemmt hat, und sagt: »Ich muß mich in die Newark Interbank Credit Corp schleichen.«
    »ARRR, ich bin begeistert!« krächzt der grellgrüne Papagei auf der Schulter des Burschen. »Da wirst du wohl eine Code-Rot-Maskenutility aus Davy Jones' Spind brauchen!«
    Ivar spannt seine mächtigen Barbarenmuskeln und nickt.
    Eine oder zwei Nanosekunden später steht er im Archiv der Newarker Bank, und Kamik zieht einen leuchtend pinkfarbenen Umschlag aus den Hexadezimalströmen. Und die Antwort heißt...! »First Corporate Trust of New York.«
    »Woher ist das Geld gekommen«, fragt Ivar laut, es ist so üblich, »das auf Hills Konto bei der UCAS-Bank gewandert ist?«
    »Hurley-Cooper-Konto für Konzernbedarf.«
    »Von welchem spezifischen Konto stammt das Geld?«
    Der fette Ire kichert.
    Schön.
    Also hat dieser Bursche namens Hill seine drei Millionen Nuyen indirekt von Hurley-Cooper-Bankkonten bezogen. Ivar fragt sich, ob das wohl etwas zu bedeuten hat. Wer, zum Teufel, ist dieser Hill überhaupt? Vielleicht irgendein Laborkittel.
    Er jagt zurück durch die Datenleitungen.
    Er muß noch ein Dutzend Namen überprüfen.

64
     
    Der Raum ähnelt dem Gelaß, in dem Striper eingesperrt ist: mattgraue Wände, keine Fenster. Das Mobiliar beschränkt sich auf drei Feldbetten, einen Tisch mit Stühlen und ein großes Telekom mit integriertem Trideo auf einem fahrbaren Wägelchen. Die einzige Tür steht offen und gibt den Blick auf den Vorbereitungsraum und die Tür zum Kontrollraum sowie auf Stripers Gefängnis frei.
    Whistle liegt ausgestreckt auf ihrer Koje und zeichnet mit den Fingern Bilder in die Luft. Shaver kümmert sich um ihre Waffen. O'Keefe hat ein wachsames Auge auf Shaver. Ihre Begegnung mit Striper und den Trollen hat Spuren hinterlassen. Wie tief sie sind, ist schwer zu sagen, aber O'Keefe hat den Verdacht, daß die tiefsten Spuren unter der Oberfläche verborgen sind. Sie verbringt jeden freien Augenblick mit ihren Waffen. Sie spricht im Schlaf. O'Keefe hat wenig Zweifel, daß Striper eine herausragende Rolle in Shavers Träumen spielt.
    O'Keefe, der am Tisch sitzt, richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf den Telekomschirm. Der Titel Söldner der Moderne verblaßt gerade und wird durch den Blick auf einen Trupp sechsrädriger Panzerspähfahrzeuge verdrängt, die durch das hügelige Gelände der südöstlichen Türkei rollen und auf irgendeiner nicht asphaltierten Straße Staub aufwirbeln. Der Mann, der in seinem stadtgrauen Tarnanzug vor der Straße steht und direkt in die Kamera sieht, ist Duke Baader, ehemals ein hochrangiger Kommandeur in Deutschlands Söldnerkorps MET 2000. Dies ist der Mann, der 2032 die russische Offensive auf die Festung Berlin gestoppt und der später den Blitzangriff auf die Zitadelle Sofia koordiniert hat. Jetzt moderiert er Trideoshows für den Sender Arms and Armor. O'Keefe unterdrückt einen Seufzer.
     
    Die Zeit bleibt nicht stehen, und für gute Männer führt der Weg, vom Luxus verleitet, steil abwärts, bis sie nur noch Parodien ihrer selbst sind.
    O'Keefe würde sich lieber eine Kugel durch den Kopf jagen.
    Ein metallisches Klappern ertönt. Germaine Olsson schiebt einen Verpflegungswagen aus dem Vorbereitungsraum. Whistle springt auf, um das Essen zu begutachten. Shaver wirft nur einen kurzen Blick, dann fährt sie fort, ihre Ingram-20t-MP zu reinigen. Olsson läßt den Wagen stehen, dann geht sie zu O'Keefe und sagt: »Dr. Hill ist der Ansicht, daß wir alles unter Kontrolle haben, wenn Sie also noch bis nach der nächsten Prozedur warten, betrachten wir den Vertrag damit als erfüllt.«
    O'Keefe zögert, dann nickt er. Es ist nicht sein Begräbnis. »Ist mir recht.«
    »Wie kann ich Sie erreichen, wenn wir ein neues