Jäger und Gejagte
Vertragsangebot haben?«
»Genauso wie bisher.«
»Ja, okay. Ich wollte mich nur vergewissern.«
O'Keefe lächelt. Olsson dreht sich um und geht hinaus. O'Keefe richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf den Telekomschirm und denkt nach.
Er ist froh, wenn dieser Vertrag endlich erfüllt ist. Er hat ihm von Anfang an Sorgen bereitet. Das Interesse der Wissenschaftler an Werwesen ist ihm logisch vorgekommen, aber das Beharren darauf, daß er eine so starke und gefährliche Bestie wie einen Wertiger fangen sollte, erschien ihm unklug. Alle Werwesen sind Gestaltwandler. Alle verfügen über gewisse Erwachte Fähigkeiten, zum Beispiel die, verlorene Gliedmaßen zu regenerieren und Verletzungen mit bemerkenswerter Schnelligkeit auszuheilen. Sie sind jedoch nicht alle gleich gefährlich. Warum mußte es also ausgerechnet eine der gefährlichsten Arten sein?
Schlimmer noch, als sie den Vertrag zuerst bespro chen haben, bestand Olsson auf einem ganz bestimmten Individuum, von dem man in gewissen Kreisen munkelte, daß es sich dabei um genau so eine Erwachte Bestie und, schlimmer noch, eine bekannte Attentäterin handelte. O'Keefe hätte es nicht für möglich gehalten, daß jemandem wie Olsson oder den Wissenschaftlern, für die sie arbeitete, oder überhaupt einem Konzern jemals der Name ›Striper‹ zu Ohren gekommen ist; geschweige denn, daß sie eine Vorstellung davon haben, wer mit diesem Namen gemeint ist.
O'Keefe nimmt an, daß einer der Wissenschaftler ein besonderes Interesse an Striper haben muß. Wahrscheinlich ist es etwas Persönliches.
Welche andere Erklärung kann es geben?
65
Die Stimme an der Decke leiert ihr endlos die Ohren voll über Schmerzen und Töten und Tod, über den Sohn, der in einer Gasse in Philadelphia getötet worden ist, und über die Millionen Dinge, die all das zu bedeuten hat.
»Ich habe nächtelang wach im Bett gelegen und mir vorgestellt, was ich tun würde, wenn ich dich je erwische«, sagt die Stimme. »Und mir Dinge überlegt, die ich nie jemandem erzählen werde, so furchtbar sind sie. Das brachte mich zu der Frage, was wohl das Schlimmste wäre. Das Schlimmste, was dir passieren könnte. Du bist ein Tier. Du verhältst dich wie eins. Eingesperrt zu sein, das mußte schlimm sein. Echt schlimm. Für Forschungszwecke benutzt zu werden, mußte schlimmer sein. Eingesperrt zu sein und für Forschungszwecke benutzt zu werden. Wie das Tier, das du bist. Das mußte noch schlimmer sein, als zu sterben.
Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, du könntest auch ein Kind haben. Da habe ich Glück gehabt. Ich will, daß du darüber nachdenkst: Was aus deinem Kind wird. Was du tun würdest, um es zurückzubekommen. Was wäre, wenn du es nie zurückbekommen könntest. Was gerade in diesem Augenblick mit ihm geschieht und daß du nichts dagegen tun kannst.«
Tikki liegt neben dem Paneel, hinter dem sich die einzige Tür zu diesem Raum verbirgt, die Flanke an die Wand gepreßt. Die Stunden ihrer Gefangenschaft in diesem Raum haben sie gelehrt, daß es sinnlos ist, Energie mit Zorn zu verschwenden. Aber wenn sich die Tür wieder öffnet, wird sie bereit sein. Falls sie wach bleiben kann.
Sie hat sehr viel an ihr Junges gedacht und ist zu dem Schluß gekommen, daß es wahrscheinlich längst tot ist.
Die Vorstellung erschreckt sie, aber sie ist nicht real. Sie wird erst real sein, wenn sie es mit eigenen Augen sehen kann, wenn sie es riechen kann, wenn sie mit der Nase darauf stößt. Sollte sie je aus diesem Raum herauskommen, wird sie unbarmherzige Rache für diesen Tod nehmen. In letzter Zeit fragt sie sich jedoch immer öfter, ob sie überhaupt je aus diesem Raum herauskommen wird. Außerdem fragt sie sich auch andere Dinge. Ein Gedanke kehrt immer wieder.
Die Stimme an der Decke hat gesagt: »Du hast mir alles genommen, das mir etwas bedeutet hat.«
Das ist unglaublich. Was soll das bedeuten? Daß irgendeinem Zweibeiner tatsächlich etwas an seinem Abkömmling liegt? Daß Tikki dadurch, daß sie in einer Gasse in Philadelphia einen Ork tötete, das Leben irgendeines Zweibeiners jeglichen Werts beraubt hat? Tikki findet das schwer zu glauben und noch schwerer zu begreifen. Sie hat weibliche Zweibeiner gekannt, die ihre Jungen lieber in die Müllpresse geworfen haben, anstatt sich die Mühe zu machen, sie zu füttern. Sie hat gesehen, wie sich Zweibeiner-Geschwister bis zum Tod bekämpft haben und der Sieger lachend davonging. Zweibeiner sind die großen Verräter. Ihnen liegt
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