Jäger und Gejagte
Arme.
75
Einen Moment lang ist sich Ben Hill nur des Schmerzes, der durch die linke Seite seines Kopfes pulsiert, und der kühlen, ebenen Härte des Bodens an seiner rechten Schläfe bewußt.
Als er den Kopf hebt, wird der Schmerz noch stärker. Farbkleckse blinken vor seinen Augen. Er hört Leute rufen und schreien, Dinge krachen und bersten und ein plötzliches Anschwellen klatschender, stampfender Schritte. Als sich sein Blick klärt, sieht er den kurzen Abschnitt weißgrauen Bodens zwischen sich und der Tür zum Flur und die schwarze Form einer Pistole, die kaum zwei Meter entfernt liegt.
Ihm kommt der Gedanke, daß er die Waffe brauchen könnte. Striper ist aus ihrem Gefängnis entkommen. Sie ist rasend vor animalischer Wut. Die Angst treibt ihn vorwärts, kriechend, dann auf Händen und Knien. Als er die Waffe aufhebt, kommt es ihm plötzlich sehr ruhig im Labor vor.
Unsicher erhebt er sich, indem er sich auf eine Laborbank und dann auf einen Tisch stützt. Er sieht auf den ersten Blick, daß seine Kollegen und die Laborassistenten geflohen sind. Die Gestalt im hinteren Teil des Raumes sieht nur zum Teil menschlich aus, da sie im Bereich von Kopf und Schultern mit Fell bewachsen ist.
Als sie sich umdreht, sieht Ben, daß sie ein Kind in den Armen hält, ein menschliches Kind im Alter von etwa vier oder fünf Jahren.
Aber das kann nicht sein. Es ist Striper, es muß Striper mit ihrem Jungen sein. Der Anblick ist seltsam faszinierend. Sie haben sowohl die Mutter als auch das Junge jetzt schon seit einiger Zeit hier, und bis jetzt hat weder die eine noch das andere seine menschliche Gestalt angenommen. Keiner der beiden hat auch nur den geringsten Anflug dieser Fähigkeit erkennen lassen. Warum ausgerechnet jetzt? Striper hat vermutlich einen guten Grund, aber was ist mit dem Jungen? Nimmt es einfach die Gestalt der Mutter an?
Striper sagt: »Wirst du mich erschießen, Mensch ?«
»Mennnnnsch!« echot das Kind knurrend.
Und der kleine Kopf dreht sich, und das Gesicht des Kindes wird sichtbar. Es sieht halb tierisch, halb dämonisch aus, die Lippen zurückgezogen, die Fänge gebleckt.
Die Augen funkeln im Licht.
Ben spürt, wie ihm ein Schauer über den Rücken läuft. Ihm wird jetzt mehr denn je klar, daß er einer Intelligenzform gegenübersteht, die nur eine oberflächliche Ähnlichkeit mit der menschlichen Rasse hat. Er hat es mit einem geborenen Raubtier zu tun, einem Wesen, das dem Leben als solchem vielleicht keinen Wert beimißt, sondern nur dem Überleben. Der Gedanke jagt ihm eine schreckliche Angst ein. Er hebt die Waffe in seinen Händen ein wenig höher. Unwillkürlich muß er niesen. »Ich... ich kann dich nicht gehen lassen«, stammelt er. »Weder dich noch dein Junges. Es tut mir leid.«
Striper sagt mit tiefer und leiser Stimme: »Komm mir in die Quere, und du stirbst.«
Das Kind faucht: »Stiiirrrrbst!«
»Es ist nicht... nicht meine Entscheidung!«
Striper stellt das Kind auf die Füße, nimmt seine Hand und geht durch den Mittelgang des Labors auf Ben zu. Ihre Augen bohren sich in seine. Die Maschinenpistole in ihrer Hand hängt locker herab. Das Kind funkelt ihn an und knurrt, seine Züge sind vor Wut und Haß verzerrt. Mutter und Kind bleiben kaum zwei Schritt vor ihm stehen. Beide scheinen die Waffe, die auf Stripers Brust gerichtet ist, nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ben spürt, wie sein Arm schwach wird und langsam zu Boden sinkt. Es hat keinen Sinn.
Doch plötzlich packt jemand sein Handgelenk und reißt ihm die Pistole aus der Hand. Zu seiner Verblüffung sieht er Germaine, die jetzt kreischt: »SIE HAT MEINEN SOHN ERMORDET!«
Was? »Germaine! NICHT!«
»MÖRDERIN!«
Es dauert kaum eine Sekunde. Ben sieht nicht, wer zuerst schießt. Er registriert den Ausdruck blindwütiger Gewalttätigkeit auf Germaines Gesicht und die jähe bösartige Wut, die Stripers Züge verzerrt. Er hört ein doppeltes Knattern. Germaine taumelt, während sich rote Flecken auf ihrer Brust bilden, und kippt hintenüber. Striper fährt herum, geht in die Hocke, schützt das Kind und beugt sich darüber, während ihr Kopf herumgerissen wird und die eine Hälfte zu einer blutigen Masse wird, die ihren Hals herunterläuft.
Striper bricht zusammen. Germaine liegt reglos da. Ben taumelt zurück, sinkt auf die Knie, beugt sich vor und übergibt sich. Und über allem hört er Liron Phalens Stimme, drängend, überzeugend, die ihm sagt, was er zu tun hat.
76
Die Stufen der Treppe haben einen
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