Jäger
Golochows Frau?«, fragte Rob.
»Ja«, erwiderte die Verwalterin so leise, dass wir sie
kaum hören konnten. Als sie sich nach links wandte, stieß
uns Norton erneut vorwärts.
»Wir werden euch ein paar Fragen stellen«, sagte er.
Ich versuchte, in dieser runzligen Bohnenstange aus Haut und
Knochen die schlanke, hübsche und lächelnde Frau
wiederzuerkennen, die ich auf dem Video gesehen hatte. Ich konnte es
nicht.
Kurz vor einer scharfen Biegung des Korridors stellte sich Stuart
in Positur und verschränkte die Arme vor der Brust. Mein letzter
flehender Blick ließ ihn kalt.
Norton deutete auf eine offene Tür. In dem kleinen Büro
standen ein nackter Schreibtisch aus Holz und ein alter,
verschrammter Schrank mit Akten, die kyrillische Aufschriften trugen.
An den Wänden hingen Fotos. Norton schob zwei Stühle an den
Schreibtisch. Während Rob und ich uns setzten, trat die
Verwalterin an die Wand, an der die meisten Fotos hingen. Ich
ließ den Blick über die Reihen schwarzgerahmter
Schwarzweißbilder schweifen. Auf den ersten Blick erkannte ich
niemanden – mit einer Ausnahme: In der unteren linken Ecke war
auf einem Foto Stalin zu sehen, der neben einem anderen,
jüngeren Mann stand. Beide trugen Uniform, beide lächelten
in die Kamera. Stalin sah aus wie Anfang sechzig. Ein Kriegsfoto.
»Fangen wir an«, sagte Norton. »Wir wollen nicht
allzu lange bleiben.«
Die Verwalterin bedachte ihn mit einem kalten Blick. »Dr.
Cousins«, sagte sie, »Ihre Forschungen sind nach dem, was
Sie zur Veröffentlichung freigegeben haben, recht
interessant.«
Norton behielt uns mit dem geistigen Engagement eines Wachhundes
im Auge.
»Meine Frage an Sie lautet: Werden Sie Ihre Forschungen
einstellen?«
Rob sah auf. »Würde mir das etwas nützen? Ich bin
bereits ein toter Mann.«
»Wir befinden uns am Scheideweg, ja. Aber es gibt einen
Ausweg. Wir bringen Stabilität und handeln nicht aus Habgier.
Verraten Sie uns, was Sie getan haben, um unsere Kontrollmechanismen
außer Kraft zu setzen.«
Norton nickte. Jetzt verlief das Gespräch endlich in den
richtigen Bahnen.
»Ich würde gerne wissen, welche Fehler ich gemacht
habe«, sagte Rob.
Die Verwalterin trat näher an ihn heran. Ihre Augen bohrten
sich mit erstaunlichem Feuer in seine und ihre Stimme schraubte sich
fast eine Oktave höher.
»Wenn Sie ewig leben wollen, müssen Sie sich von den
Kleinen Müttern und ihren Diensten lösen. Das kann es
für andere schwer machen, Sie zu kontrollieren, ja. Aber nicht
unmöglich. Es ist dazu allerdings mehr nötig, weitaus mehr,
als eine Frau oder eine Geliebte über längere Zeit hinweg
oder auch einmalig übertragen könnte. Aber mit der
richtigen Mischung aus Erzeugnis und Erzeuger in Reinform kann man
Sie mehrere Stunden lang, sogar Tage oder Wochen steuern.«
»Warum habe ich diese Falten auf meinen
Handrücken?«, fragte Rob.
Ich achtete sehr genau auf Norton, die Melone. Dumme
Menschen geben sich stets Blößen. Allerdings war ich mir
ganz und gar nicht sicher, ob Norton tatsächlich dumm war.
Schließlich wusste er, worauf er achten musste und was er
ignorieren konnte. Und er wirkte weniger nervös als Stuart. Er
kannte das Gebäude. Es war Nortons Auftrag.
»Sie haben Reaktionswege abgeschnitten, die sowohl vom
Körper als auch von den Kleinen Müttern benutzt
werden.«
Dieser Ausdruck tauchte immer wieder auf und ließ mir keine
Ruhe. »Was sind diese Kleinen Mütter?«, fragte
ich.
»Sie meint Bakterien«, erwiderte Rob, ohne den Blick von
der Verwalterin zu wenden. Es war so, als spielten die beiden eine
Partie Schach. Er versuchte, sie psychisch unter Druck zu setzen und
zu einem falschen Zug zu bewegen. Schau der Hydra nie direkt in
die Augen.
»Ohne Führung fühlt sich der Körper
einsam«, sagte die Verwalterin. »Er wendet sich gegen sich
selbst. Sie verlieren Ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Und das,
was Sie hassen und fürchten, wird übergroß.«
Sie streifte Norton erneut mit einem Blick. Ich konnte den
Ausdruck darin nicht ergründen und Norton wollte es offenbar gar
nicht erst versuchen. Wer hatte hier das Sagen? Wer steuerte wen?
»Dr. Golochow hat Sie als Allererste behandelt?«, fragte
Rob.
»Frage abgelehnt«, blaffte Norton.
»Ja, ich war die Erste. Ich habe mich freiwillig
angeboten.« Sie wollte darüber reden. Rob war ein
mitfühlender und verständnisvoller Zuhörer. Ein
Kollege – und in gewisser Weise auch ein Weggefährte. Ich
fühlte mich in die schlimmsten Zeiten von
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