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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Jahre alt.« Ben schien
von Ehrfurcht ergriffen. »Großer Gott! Wer erlitt auf der
Datscha in Kuntsewo einen Gehirnschlag? Wem wurden Blutegel gesetzt,
aber Ärzte verwehrt? Wer hat auf die Lithographie an der Wand
gedeutet, den Druck mit der Abbildung eines Jungen und eines
Mädchens, die ein Lamm mit der Flasche füttern? Wer lag
sterbend auf dem Bett, während Swetlana zusah? Es war alles nur
ein Täuschungsmanöver. Ob Berija davon gewusst hat?«
Ben sah mich an, er schielte fast vor Aufregung.
    »Wovon gewusst?«
    »Erkennen Sie ihn denn nicht? Hat man Ihnen in der Schule
denn keine Geschichte beigebracht?« Ben verstummte eine Weile
und fügte dann bekümmert hinzu: »Oder bin ich dabei,
verrückt zu werden?«
    »Könnte sein«, erwiderte ich.
    Ben schüttelte den Kopf, als wolle er Fliegen vertreiben,
schaffte es jedoch nicht, den Blick von dem alten Mann im
Stahlzylinder abzuwenden.
    »Verdammt, ich bin mir sicher! Er ist ein Wrack, aber ich
habe Bilder von ihm studiert, seit ich ein Kind war. Das ist er. Banning hatte Recht. Golochow hat ihn behandelt und weit
über eine normale Lebensspanne hinaus am Leben erhalten. Aber
nicht so, wie er es gewollt hätte.« Ben stieß ein
bellendes Lachen aus, das von den Wänden des Saals
zurückhallte. »Golochow lebte bereits im Exil, aber er muss
dem Politbüro dabei geholfen haben, ihn aus dem Weg zu schaffen.
Mit einer angeblichen Erkrankung, zum Beispiel. Die ihn von den
Schaltzentralen der Macht fern hielt. Vielleicht haben sie sogar
einen Doppelgänger eingeschleust. Möglicherweise waren
Swetlana und die anderen markiert oder einer Gehirnwäsche
unterzogen worden.« Ben steigerte sich begeistert in diese
unglaublich klingende Geschichte hinein. »So muss es
gewesen sein. Sie haben ihn aus Russland herausgeschafft, als Silk
sich in New York niederließ. Und dann hier in dem neuen
Gebäude untergebracht, zusammen mit ähnlichen Ungeheuern,
den Architekten des alten Regimes. Und dann haben sie deren Bilder
unten in der Wohnung an die Wand gehängt.« Ben ließ
aus zusammengekniffenen Augen den Blick über die Reihen der
Zylinder schweifen. »Du lieber Himmel! Glauben Sie, dass Berija
auch hier ist? Abgepackt und weggesperrt, eingedenk der alten
Zeiten?«
    »Ich weiß noch immer nicht, wovon Sie reden,
Ben.«
    »Es ist Koba, Hal!«, rief Ben ungeduldig.
»Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili. Begrüßen Sie
Väterchen Stalin.«
    Ich sah auf das verschrumpelte, fleckige und von roten Fäden
überzogene Gesicht hinab und konnte keinerlei Ähnlichkeit
erkennen, allerdings hatte ich auch längst nicht so viele
historische Fotos studiert wie Ben.
    Plötzlich flogen die Augen des alten Mannes im Tank auf,
starrten durch die Scheibe und richteten sich dann auf mich. Die
Lederhaut der Augen war rosa gefärbt, aus dem Mund blubberte
rötlicher Speichel. Ich war mir sicher, dass er mich sehen
konnte. Sein Blick – trübe, aber immer noch elektrisierend
– jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Es
lag blanker Hass darin.
    »Sie bilden sich das nur ein«, sagte ich mit dem
dumpfen, beklemmenden Gefühl, dass dem nicht so war und ich
tatsächlich vor dem schlimmsten Massenmörder der
Menschheitsgeschichte stand.
    »Meine Herren!«, rief Delbarco.
    »Ach ja?«, entgegnete Ben, ohne Delbarco zu beachten.
»Schauen Sie sich diese Augen an. Gorki hat ihn einen zu
menschlicher Größe aufgeblasenen Floh genannt. Er hat sich
einen Dreck um die Menschheit geschert, er wollte ihr nur das Blut
aussaugen. Jetzt sieht er wirklich wie ein Vampir aus, finden Sie
nicht?«
    »Wir müssen sofort gehen!«, rief Breaker von
der Tresortür.
    Die purpurrote Zunge des Mannes schnellte obszön aus seinem
Mund hervor und seine Lippen zogen sich zurück, so dass zwei
Reihen gelblicher Zähne sichtbar wurden. Er schien etwas sagen
oder schreien zu wollen. Als sein Kopf zur Seite sank, schwappten
Wellen roter Flüssigkeit gegen die Seitenwände des Tanks.
Etwas davon geriet ihm in den Mund. Er schluckte, würgte und
spitzte schwach die Lippen, als wollte er ausspucken, schaffte es
jedoch nicht. Schließlich wand er sich wie ein Aal und
stieß dabei gegen die Wände.
    »Das ist nicht möglich«, sagte ich.
    Ben schlug mir auf die Schulter und lachte. »Das ist das
Dümmste, was ich je von Ihnen gehört habe, Hal. Verdammt,
Mann! Sehen Sie sich um!«
    »Im ersten Stock gibt es Probleme!«, rief Delbarco.
    Gott sei Dank ging das Licht im Tank mit einem Klicken aus, doch
das dumpfe Poltern war

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