Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
nicht mehr
gelacht, seitdem ich als kleiner Junge Zeichentrickfilme gesehen
hatte.
    Candle und Carson betrachteten mich mitleidig.
    Ich empfand eine fast ausgelassene Vergnügtheit, die derart
unbeschwert war, dass ihr jede Spur von Zynismus fehlte. Dabei war
mir durchaus klar, dass ich das letzte Verteidigungsmittel des hellen
Jungen einsetzte: ein sonniges Ist-mir-scheißegal-Grinsen. Es
war die einzige Abwehr, über die ich noch verfügte, der
einzige Schutzpanzer, den ich je wirklich besessen habe.
    Ich schwankte aufs Vorschiff, wischte mir die Augen mit dem
Hemdsärmel trocken und genoss den Wind, der mir entgegenblies.
Ben kauerte wie ein zotteliger alter Buddha im Schutz eines
Ankerspills am Bug und betrachtete nachdenklich ein sorgfältig
zusammengerolltes Tau. Als ein orange und weiß gespritzter Sea King-Helikopter der Küstenwache über uns
hinwegdröhnte und auf die Lemuria hinabstieß,
blickte Ben auf und schirmte die Augen gegen das helle östliche
Licht ab. Ein zweiter Hubschrauber folgte gleich darauf.
    »Genau zur richtigen Zeit«, sagte er. Wir beobachteten,
wie sie so zwischen den Tempeltürmen hindurchschwirrten, als
umkreisten Moskitos eine Madonnenstatue.
    »Bin ich tatsächlich ein blutrünstiges Ungeheuer,
Ben?«, fragte ich und ließ mich neben ihm auf die Knie
sinken.
    Er nahm die Hände von den Augen, legte sie an die Oberlippe
und krümmte die Zeigefinger zu Vampirzähnen.
    Mein Lachen ging in einen Schluckauf über und verebbte dann
ganz. »War Rob ein Ungeheuer? Wären wir beide genauso
geendet wie Golochow: als Sklaven der Stalins und Berijas dieser
Welt?«
    »Hören Sie, was Orwell dazu zu sagen hat, Sie kleine
Heuschrecke«, sagte Ben salbungsvoll.
    »Wieso Orwell?«
    »Die einzig wahre und authentische Stimme des zwanzigsten
Jahrhunderts.« Ben zeichnete mit den Fingern
Anführungsstriche in die Luft. »Wenn ihr einen Blick in
die Zukunft tun wollt, stellt euch einen Stiefel vor, der auf ein
menschliches Gesicht stampft – für immer und
ewig.«
    »Sie sehen das Leben auch so, wie?«
    »Ich bin nur ein alter Scheißkerl, der fragwürdige
Dinge getan hat«, erwiderte Ben. »Ich will nicht ewig
leben, nicht ohne Janie. Das Zusammenleben mit ihr hat die schlimmen
Erinnerungen ausgelöscht. Jetzt werde ich die nächsten noch
verbleibenden Jahre damit verbringen, mich mit einer Kiste Jim
Beam einzugraben, bis der Vorrat zu Ende geht. Falls ich nicht
irgendwann in den nächsten Stunden sterbe. Letzteres wäre
mir lieber. Die menschliche Geschichte ist lachhaft. Und sie war das
Einzige, was mich noch interessiert hat.«
    »Ich kann es nicht so sehen«, entgegnete ich mit enger
Kehle. »Es gibt noch so viel zu entdecken und zu lernen. Die
Geschichte wiederholt sich nicht.«
    »Das kann sie auch gar nicht«, sagte Ben. »Sie
stottert viel zu sehr. Die Geschichte kann sich ja nicht einmal den
eigenen Text merken.«
    »Verdammt, es ist mir ernst.«
    »Waren Sie es nicht, der sich vor ein paar Minuten noch krumm
und schief gelacht hat? Das ist wahrer Mut. Zieh dir einen
Joint rein und schultere das Gewehr. Sauge dir ein bisschen Mut und
Seelenstärke aus dem Ganja und bereite dich aufs letzte Gefecht
vor.« Er schwang, John Wayne imitierend, den Arm über den
Kopf, als wolle er die Pferde mit der Peitsche antreiben, und rief:
»Lach ihnen ins Gesicht, Pionier.«
    Ich ließ mich neben ihm auf mein Hinterteil plumpsen und
atmete tief aus. Meine Gedanken dümpelten wie eine
Ölschicht auf trübem Gewässer dahin.
    Ben nahm die Mütze ab und fuhr sich durch das schüttere
graue Haar. »Scheiß drauf. Es ist alles nur heroisches
Geschwätz. Ich war viel mit Rob zusammen, und ich schwöre,
Hal, es war nicht viel anders als mit Ihnen. Ich habe ihm bei der
Arbeit zugesehen. Ich habe seinen Verstand bewundert und wie er
dagegen ankämpfte, verrückt zu werden. Mein Gott, er war
ein tapferer, ausgeflippter Mistkerl, vielleicht genau der Typ, der
es verdient hätte, noch einmal fünfzig, hundert oder auch
tausend Jahre zu leben, um alles genau zu durchdenken.«
    Diese Bemerkung verwirrte mich noch mehr, als ich es ohnehin schon
war.
    Ben beugte sich nach vorn. »Das Leben ist was für die,
die noch Illusionen haben. Gründen Sie Ihre Klinik und schauen
Sie zu, wie sich die Leute an Ihrer Tür die Klinke in die Hand
geben. Vielleicht bin ich ja auch dabei. Wir sind alle Heuchler, was
das Sterben angeht, und vor dem Alter haben wir ebenfalls
Angst.«
    »Ja, es ist nichts für Weicheier«, sagte ich.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher