Jäger
Kopf.
Die Callas legte ihre Hand mit gespreizten Fingern flach auf die
Tischplatte, als wollte sie mich zu dem bekannten Risiko-Spiel mit
dem Messer auffordern. Sie sah auf ihre Hand hinab. »Zu
lügen wäre fatal, Hal.«
»Zwischen uns ist nichts.«
»Was ist letzte Nacht passiert, dass Sie Ihr Hotelzimmer so
überstürzt verlassen haben?«
»Banning glaubt, dass jemand eingebrochen ist und uns einen
präparierten Dosenöffner und eine Dose mit Pfirsichen
untergejubelt hat«, erklärte ich. »Ich habe den
Dosenöffner benutzt und die Pfirsiche gegessen. Er hält es
für möglich, dass man mir etwas angehängt, mich
markiert hat.« Ich erklärte ihr, was das bedeutete.
Die Callas betrachtete mich mit morbider Neugier.
»Fühlen Sie sich krank oder sonst irgendwie
seltsam?«
»Nein.«
»Können Sie den Dosenöffner analysieren
lassen?«
Ich überlegte kurz. »Ja.«
»Warum war Ihr Bruder in New York?«
»Ich glaube, er war damit beschäftigt, die letzten
Stücke eines Puzzles zusammenzufügen.«
Die Callas sah zur Seite und schüttelte den Kopf. »Sie
behaupten also, dass Ihre Feinde – wer immer sie auch sein
mögen – so arbeiten wie der berüchtigte Schatten aus
den Radiohörspielen der Dreißigerjahre: dass sie das
Bewusstsein und Denken vernebeln?«
Ich fühlte mich wie ein Käfer in einer Fixierzange.
»Warum haben es diese Leute dann nicht geschafft, auch Ihr
Denken zu vernebeln?«
Ich konnte darauf keine befriedigende Antwort geben.
»Es ist alles nur Illusion, nicht wahr?«, seufzte die
Callas. »Alles, was wir über geistige Gesundheit und den
freien Willen zu wissen meinen.« Leise klopfte sie mit den
Fingerknöcheln gegen die Schreibtischplatte, während ihr
Blick zu den Fenstern schweifte. »Ich esse viel frisches
Gemüse und Obst. Die wissen, wo ich wohne. Was passiert, wenn
sie beschließen, auch mein Bewusstsein zu vernebeln? Wie kann
ich Ihnen dann noch nützen?« Sie atmete tief aus. »Ich
gebe Mrs. Cousins’ Scheck zurück.« Sie schob Lissas
Scheck über den Schreibtisch. »Meine Detektivarbeit ist
gratis. Betrachten Sie das als Gegenleistung dafür, dass Sie
mich auf einige interessante Tatsachen aufmerksam gemacht haben. Und
lassen Sie sich von einem Profi in diesem Geschäft, der sich
inzwischen gar nicht mehr so furchtbar klug vorkommt, ein paar
Ratschläge geben: Besorgen Sie sich eine Waffe. Vergessen Sie
alles, was Sie über das Leben, über menschlichen Anstand
und Zivilisation zu wissen glauben. Halten Sie sich von Ihren
Freunden fern. Und halten Sie sich vor allem von mir fern,
verdammt noch mal.«
Kapitel 24
Ich traf Banning und Lissa draußen, auf der Straße vor
dem Lagerhaus. »Wir sind ihr zu ausgeflippt oder zu
gefährlich«, erklärte ich und reichte Lissa den
Scheck. »Sie weiß, dass Rudy und ich einander nicht
trauen. Und sie meint, dass auch du, Lissa, mir nicht unbedingt
vertrauen solltest.«
Banning nickte, als halte er das für recht vernünftig.
»Zu Ihrem Bruder hatte ich eine bestimmte Beziehung
entwickelt«, erklärte er. »Aber ich brauche lange, bis
ich jemandem vertraue. Inzwischen verstehen Sie sicher auch den
Grund.«
Lissa sah mich traurig an. »Und wem soll ich
vertrauen?«, fragte sie.
»Ich glaube, Mrs. Callas hat Recht«, wich ich aus.
»Wir sollten alle getrennte Wege gehen.«
»Ich habe meine Pflicht Ihrem Bruder gegenüber
erfüllt, so weit ich es konnte«, sagte Banning, zog die
Wangen so ein, dass sich kleine Gruben bildeten, und fügte
hinzu: »Ich hoffe, dass ich jetzt wieder in die Anonymität
abtauchen und mich den eigenen Fehlschlägen widmen kann. Viel
Glück Ihnen beiden.«
Wir sahen zu, wie er die Straße zu seinem verbeulten,
braunen Plymouth hinabging, bis die kleine Gestalt vor den hohen,
erdrückenden Mauern und Fenstern der Lagerhäuser kaum noch
auszumachen war.
»Das ist doch idiotisch«, sagte Lissa. »Wohin
willst du gehen?«
»Wohin auch immer mich meine Füße tragen«,
erwiderte ich und wandte mich nach Süden. Der Motor von Bannings
altem Plymouth röchelte. Ich konnte die blauen Auspuffgase bis
hier riechen.
»Nur zu!«, rief Lissa hinter mir her. »Ohne Geld,
ohne Auto – nur auf deinen verdammten Schuhen! Du bist so
unglaublich dämlich!«
Ich drehte mich zu ihr um. Lissa stand auf dem von Rissen
durchzogenen Trottoir, die Hände so fest zu Fäusten
geballt, dass die Sehnen an den Handgelenken hervortraten, das
Gesicht angespannt und von roten Flecken übersät. Sie war
wütend und hatte Angst.
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