Jaegerin der Daemmerung
guten Manieren, die meinte, den anderen danken zu müssen.« Er streckte die Arme den grauen Wolken entgegen und atmete tief durch. »Ich glaube, es fängt jeden Augenblick an zu schneien.«
»Sollen wir mit den Kindern nach Hause zurückkehren?«, fragte sie mit einem Grinsen, das dem seinen ähnelte.
»Fliegen wir oder laufen wir?« Fragend hob er eine Augenbraue in die Höhe.
Ivory sah sich vorsichtig um. »Ich glaube, fürs Erste können wir gehen.«
Razvan schickte seine Sinne in die Nacht hinaus. Er wollte spüren, was sie spürte. Er war sich sicher, dass ihnen eine Handvoll karpatianischer Jäger gefolgt waren, um sicherzugehen, dass sie sich nicht mit Xavier trafen und ihm alles berichteten, worüber sie gesprochen hatten.
»Sie halten mich für einen Spitzel«, sagte er leise. »Stört dich das?«
»Im Moment«, korrigierte sie ihn, »halten sie uns beide für Spione.« Leicht amüsiert schaute sie zu ihm hinüber. »Ewigkeiten habe ich die Karpatianer für Betrüger gehalten, und nun glauben sie, ich sei eine Spionin.«
»Weil du mit mir zusammen bist«, sagte er. »Wenn du möchtest, kannst du von mir aus gerne alleine ins Dorf gehen, um sie zu besuchen oder um Informationen zu sammeln. In der Zwischenzeit bleibe ich dann mit dem Rudel in der Nähe und warte auf dich.«
Ivory schüttelte den Kopf. »Es liegt nicht nur an dir, auch an mir, weil ich eine Malinov bin. Ich kann ihnen noch nicht einmal einen Vorwurf machen. Unser Timing ist wirklich verdächtig. An ihrer Stelle würde ich genauso reagieren.« Aber im Hinblick auf seine Schwester war sie alles andere als glücklich. Natalya hätte an ihn glauben sollen. Sie hatte mehr Angst davor, ihm zu glauben, als ihm nicht zu glauben. Da Razvan die Haltung seiner Schwester akzeptierte, sprach Ivory das Thema mit Bedacht nicht an. Sollte sie jedoch die Gelegenheit dazu bekommen, würde sie sich einmal mit Natalya unterhalten.
Laut lachend griff Razvan nach ihrer Hand. »Unsere Gedanken sind noch miteinander verbunden.«
Ivory errötete. »Es fühlt sich so normal an. Ich wollte nicht, dass du das hörst.«
»Es macht mir nichts aus, dass du dich so für mich einsetzt, aber es ist wirklich nicht nötig, Ivory. Ich habe mich längst daran gewöhnt, ohne Natalyas Bewunderung auszukommen. Allerdings mache ich mir Sorgen um Lara. Ich hoffe inständig, dass wir ihre Probleme lösen können, indem wir Xavier beseitigen. Aber ich möchte mich nicht in ihr Leben oder das von Natalya und meinen Tanten einmischen. Ich bin zufrieden und glücklich mit dem, was ich habe.«
Im Gehen zog er ihre Hand gegen seine Brust, sodass sie jetzt dicht neben ihm lief. »Lara ist nicht gekommen, um mich zu sehen. Wir wissen beide, was das bedeutet - dass sie für diesen Schritt noch nicht bereit ist. Wenn so viele andere im Raum sind, fühle ich mich äußerst unwohl. Gefühle, die ich nicht kenne, können mir Schwierigkeiten bereiten. Mein Geist braucht Ruhe, und durch die Kombination aus ihren Zweifeln und meinen Schuldgefühlen gelingt es mir kaum, einen klaren Verstand zu behalten, was schon seit ewigen Zeiten nicht mehr vorgekommen ist.«
»Das sind doch alles Dummköpfe, Razvan, die nicht verstehen, was du ihretwegen durchgemacht hast. Was du für das gesamte karpatianische Volk ertragen hast.«
»Meine Tanten werden ihnen davon berichten, sobald sie die heilende Erde verlassen haben. Sie waren dem Hungertod sehr nahe und Gregori versucht schon eine ganze Weile, ihnen zu helfen«, sagte Razvan. »Als er in meinen Gedanken war, konnte ich sie klar und deutlich vor mir sehen.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen, und in seinen Augen lag tiefe Zuneigung. »Ich habe sie als Frauen wahrgenommen, so wie er sie sah, nicht in der Gestalt von Drachen wie in ihrem Gefängnis. Es war ... verblüffend.«
Während die beiden händchenhaltend durch den Schnee liefen, wünschte Ivory sich, sie hätte besser auf die unterschiedlichen Personen in Gregoris Gedanken geachtet. Wenn es nichts mit Kämpfen zu tun gehabt hatte oder ihr unwichtig erschienen war, hatte sie versucht, seine Privatsphäre zu wahren. Daher konnte sie sich nur vage an die beiden Frauen erinnern, die Razvan das Leben gerettet hatten, indem sie ihn gänzlich zum Karpatianer gemacht hatten. In ihren Adern floss das Blut von Rhiannon - Razvans Großmutter, die einem mächtigen karpatianischen Geschlecht entstammte.
»Drachensucher«, murmelte sie laut. »Wie oft habe ich diese Bezeichnung voller Bewunderung und
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