Jaegerin der Daemmerung
Befehl.
Dein älterer Bruder hat ihr das angetan. Ich kann ihn spüren. Er hat ihr so unendliches Leid zugefügt, wie ich es noch nie erlebt habe. Er steckt hinter ihren Qualen oder war sogar daran beteiligt.
Für einen kurzen Moment schloss Mikhail die Augen. Sie hat allen Grund, meine Familie zu hassen.
Zweifellos.
Spürst du Feindseligkeit, die sich gegen das gesamte karpatianische Volk richtet? Würde sie versuchen, uns zu zerstören?
Ich empfange zwar große Entschlossenheit, aber nichts, das darauf hindeutet, dass sie dir nach dem Leben trachtet oder uns vernichten will. Ihre Entschiedenheit ist Teil ihrer selbst. Ich würde gerne mehr über diese Frau erfahren.
Gregori schlüpfte abermals aus seiner lebendigen Hülle, um in Ivorys Körper zurückzukehren, wo er ihre Knochen und Organe in heilendem Licht badete, während er ihr Blut und ihre Zellen nach Parasiten absuchte. Sobald er fündig wurde, presste er sie durch ihre Poren nach draußen, wo er die sich windenden Würmer direkt verbrannte, damit sie sich keinen neuen Wirt suchen konnten. Es war ein schmutziges und anstrengendes Unterfangen. Als Ivorys letzte Kraftreserven aufgebraucht waren, sank sie schließlich in den Schnee.
Sofort rückten die Wölfe näher heran, bildeten einen beschützenden Kreis um sie und den Heiler. Gregori war darauf angewiesen, dass Falcon über seiner leblosen Hülle wachte, wenn er aus seinem Körper schlüpfte, sodass der ältere Karpatianer still stehen blieb und die Wölfe nicht aus den Augen ließ.
Während Gregori arbeitete, blieb der Dolch, wo er war, und Razvan stellte auch keine Fragen über seine Familie. Er konzentrierte sich voll und ganz auf Ivorys Sicherheit. Er beobachtete die anderen und überließ es den Wölfen, ihn zu warnen, falls Gregori etwas unternehmen sollte, das ihr schadete. Das erforderte ein hohes Maß an Disziplin und Beherrschtheit, doch zu keinem Zeitpunkt ritzte der Dolch dem Prinzen die Haut.
Mikhail gestattete es seinem Körper, wieder normal zu atmen. »Gregori ist ein begnadeter Heiler. Er wird nicht eher ruhen, bis auch der letzte Parasit vernichtet ist.«
»Ich weiß seine Dienste zu schätzen.«
»Es gibt also keinen Grund mehr für dich, mich zu bedrohen«, sagte Mikhail. »Gregori mag zuweilen knurren und fauchen, aber er hegt auf keinen Fall den Wunsch, deiner Lebensgefährtin etwas anzutun. Er will sie lediglich heilen, alles andere verbietet ihm sein Ehrenkodex. Der Tatsache, dass du deine Drohhaltung nicht aufgibst, wird er wenig Verständnis entgegenbringen. Ich habe euch beiden mein Wort gegeben, dass ihr unbehelligt weiterreisen dürft. Es wäre töricht, die Situation eskalieren zu lassen, wo deine Gefährtin so dringend Hilfe braucht.«
So als würde er abwägen, wie viel Wahrheit in Mikhails Worten stecken mochte, ließ Razvan den Dolch noch einige Sekunden, wo er war. Dann verschwand der Dolch und Razvan zog sich in den Schatten zurück, von wo aus er die drei karpatianischen Männer im Blick behielt.
Mikhail blieb in seiner Reichweite, so als wollte er demonstrieren, dass er es ernst meinte. Falcon rückte ein wenig näher heran, damit er sich im Fall des Falles zwischen den Prinzen und eine mögliche Gefahr werfen konnte.
»Sag mir, Razvan«, sagte Mikhail, »stimmt es, dass Xavier noch lebt?« Nachdenklich musterte er Razvans ergrautes Haar. Es gab nur wenige Karpatianer mit silbernem Haar. Nur schlimme Verletzungen konnten dazu führen. Bei näherem Hinsehen erkannte der Prinz die Spuren großen Leids in dem erschöpften Gesicht. Razvan war ein stattlicher Mann, sah aber alt und mitgenommen aus.
»Ja, das stimmt«, bestätigte Razvan.
»Übernimmt er deinen Körper, wenn ihm der Sinn danach steht?«
»Das tut er«, antwortete Razvan unumwunden. »Es ist mir heute das erste Mal gelungen, ihn daran zu hindern. So stark wie jetzt war ich schon lange nicht mehr. Im Laufe der Zeit könnte ich lernen, ihn auf Abstand zu halten.«
Falcon rührte sich, ließ den Blick in die Tiefen des dunklen Waldes schweifen, als vermutete er ihren ältesten, gefährlichsten Feind zwischen den Bäumen. »Bist du eine Gefahr für deine Gefährtin?«
»Für jeden in meiner Nähe stelle ich eine Gefahr dar.«
Mikhail warf Falcon einen flüchtigen Blick zu. »Wie war es dir möglich zu fliehen?«
»Der letzte Angriff auf die Eishöhlen zwang ihn, mich in einen anderen Kerker zu bringen. Er hatte nicht genügend Zeit, ihn vorzubereiten, sodass er nicht so sicher war wie die
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