Jaegerin der Daemmerung
herauszufinden, was geschehen war. Schritt für Schritt hatte Xavier ihn zermürbt, bis er nicht mehr imstande gewesen war, sich gegen den Magier zu wehren.
Wenn er Gregori gestattete, in seine Gedanken vorzudringen, erhielt der Heiler Einblick in jede noch so demütigende Erinnerung seines Lebens.
Ich werde den Heiler begleiten und all jene Erinnerungen verstecken, die zu belastend sind. Aber bedenke, dass alles, was er sich ansieht, in erster Linie auf Xaviers Tun zurückzuführen ist und nicht auf das deine.
Sein Herz schlug Purzelbäume. Deutlicher konnte sie ihm nicht zeigen, dass sie sich auf seine Seite stellte. Es war zwar vorherbestimmt, dass sie Gefährten waren, aber im Grunde kannten sie einander doch gar nicht. Sie hatte es hier mit dem schlimmsten Verbrecher zu tun, den die karpatianische Gesellschaft je hervorgebracht hatte.
Im Laufe der letzten drei Wochen habe ich mich häufiger in deinem Bewusstsein umgesehen. Genau wie du bin ich ein Außenseiter. Ich bin übrigens restlos davon überzeugt, dass du der Schlüssel zu Xaviers Untergang bist.
Das konnte er durchaus nachvollziehen. Er war sich nicht sicher, ob er bei der Vernichtung des Magiers tatsächlich eine tragende Rolle spielen könnte. Was hatte er schon zu verlieren? Ihren Respekt? Der war ihm bereits vor langem abhandengekommen. Ohnehin war er mehr als bereit, sich der Morgendämmerung zu stellen. Aber er wollte nicht, dass sie Dinge sah, erfuhr oder durchlebte, die er getan oder mit angesehen hatte, egal ob er daran teilgehabt hatte oder nicht.
Er kannte das Gesicht jeder Frau, die Xavier mit Hilfe seines Körpers geschändet hatte. All die süßen Lügen, die verlockenden Versprechen, die dazu gedient hatten, eine unschuldige junge Frau zu schwängern, um ihr dann das gemeinsame Kind wegen dessen Blut wegzunehmen. Alles drehte sich immer nur ums Blut. An die Namen der Frauen konnte er sich nicht erinnern, sehr wohl aber an die bitteren Tränen, als sie die Wahrheit erkannt hatten. Und an sein Gefühl, betrogen worden zu sein. Das höhnische Gelächter des Magiers glaubte er immer noch zu hören.
Die Zahl derer, die im Laufe der Jahrhunderte seinetwegen ihr Leben hatten lassen müssen, war groß, darunter Magier, Menschen und ein oder zwei Karpatianer, die getäuscht worden waren und durch seine Hand den Tod fanden. Jedes Gesicht, jeder Gesichtsausdruck hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Die Bilder verfolgten ihn in jedem wachen Moment. Er war so viele Male entehrt worden, dass er sich kaum noch daran erinnern konnte, dass das Leben auch anders sein konnte.
Jetzt hatte er die Wahl. Entweder half er seiner Seelengefährtin, den größten aller Feinde zu vernichten. Oder er gab auf, trat ins Sonnenlicht und redete sich ein, damit die anderen zu beschützen. Wenn er sich entschied, gegen Xavier vorzugehen, würde er Ivory und dem Heiler die Sünden seiner Vergangenheit gestehen müssen. Es gäbe keinen Ort mehr, an dem er sich vor sich selbst und den Gräueltaten, die mit Hilfe seines Körpers begangen worden waren, verstecken könnte. Er würde sich jeden Tag aufs Neue mit ihnen auseinandersetzen müssen. Außerdem bestand das Risiko, Xavier erneut in die Hände zu fallen. Er ließ den Blick über die Gesichter um ihn herum schweifen. In keinem entdeckte er Ungeduld, keine rastlosen Bewegungen. Sie warteten einfach auf seine Entscheidung.
Gib mir dein Wort, meine Gefährtin, dass du mich tötest, falls sich herausstellen sollte, dass ich nicht mehr vor Xavier gerettet werden kann. Ich möchte nicht, dass außer dir jemand die vernichtenden Beweise sieht.
Diese ungeheure Bitte raubte Ivory den Atem, womit sie die Aufmerksamkeit des Dunklen erregte. Ihre Blicke verschränkten sich mit Razvans. Den eigenen Seelengefährten zu töten ...
Außerdem bitte ich dich, ein Bildnis von mir in eine deiner Felswände zu meißeln, damit ich in deiner Seele sicher aufgehoben bin. Tu mir den Gefallen, auch wenn ich es vielleicht nicht wert bin. Wenn du mir einen festen Platz in deinem Herzen einräumst, habe ich womöglich die Chance, im nächsten Leben alles besser zu machen.
Ivorys Finger gruben sich tief in Rajas dichtes Fell. Ihre Kehle schnürte sich zu, und für den Bruchteil einer Sekunde brannten ihr die Augen. Sie hielt seinem Blick stand. Es wird mir eine Ehre sein.
Ohne den Blickkontakt zu lösen, sog er sie in sich auf, füllte seine Lunge mit ihr. Er konnte ihren Mut, ihre Stärke, seinen Stolz auf sie spüren, bis er das
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