Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
dass sie ihn kaum ertragen konnte. Instinktiv wollte sie zu John Brimslow und zu Rosa eilen, um sich trösten zu lassen. Aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie blieb weiterhin vor dem Feuer knien und wiegte sich sanft, während Tränen über ihr Gesicht strömten.
Lily hatte sich noch nie in ihrem Leben so allein gefühlt. Sie besaß eine Gabe, und doch war sie nicht in der Lage gewesen, ihren eigenen Vater zu retten. Hätte sie den Kontakt doch bloß eher zugelassen. Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich selbst zu schützen. Er hatte solche Schmerzen erlitten und trotzdem durchgehalten und die Verbindung zu ihr erzwungen. Er besaß kein echtes Talent, aber er hatte das nahezu Unmögliche bewerkstelligt, um ihr das Versprechen abzunehmen, sie würde alles
wiedergutmachen. Sie fror, sie fühlte sich leer, und sie ängstigte sich. Und sie fühlte sich unendlich allein.
Als Erstes stahl sich die Wärme in sie. Ein stetiger Strom, der sich durch ihr Schuldbewusstsein und ihre Qualen vorkämpfte. Er bewegte sich durch ihren Körper und hüllte ihr Herz ein.
Es dauerte Minuten, bis sie erkannte, dass sie nicht allein war. Etwas, jemand , hatte die dicken, schützenden Mauern des Hauses durchdrungen, und da ihr Kummer sie anfällig machte, war dieser Jemand auch in ihr Inneres vorgedrungen. Die Berührung war kräftig, stärker als jede andere, die sie je erlebt hatte, und sie war durch und durch männlich. Und dann wusste sie, wer es war. Captain Ryland Miller. Seine Berührung hätte sie überall erkannt.
Sie wollte sein Angebot annehmen und sich von ihm trösten lassen, aber er hatte ihren Vater gehasst. Ihm die Schuld an seiner Einkerkerung und dem Tod seiner Männer gegeben. Er war ein gefährlicher Mann. Hatte er etwas mit der Ermordung ihres Vaters zu tun?
Lily nahm Haltung an. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, machte ihren Verstand schlagartig dicht und verstärkte so schnell wie möglich die Mauern ihres Widerstands. Ihr Vater war nicht derjenige gewesen, der ihr in einem durchdringenden Befehlston die Anweisung erteilt hatte, sich von ihm zu lösen. Eine andere Person hatte sich in die Verbindung hineingedrängt. Jemand hatte jedes Wort gehört, das ihr Vater in ihrem Kopf geflüstert hatte. Dieser Jemand war stark genug gewesen, um eine Verbindung zu unterbrechen, die sie aufrechterhalten hatte, und dadurch hatte er sie wahrscheinlich gerettet, denn sie hatte keinen Anker gehabt, der sie festhielt, während ihr Vater im kalten Meer starb. Ryland Miller, der Mann,
der Wärme und Trost in ihr verströmt hatte. Der Gefangene, der tief unter den Laboratorien von Donovans unterirdisch eingesperrt war. Sie hätte seine Stimme sofort erkennen müssen. Seinen arroganten Befehlston. Und sie hätte es sofort merken müssen, als er sich in die Verbindung zu ihrem Vater eingeschaltet hatte.
Solange sie nichts Genaueres darüber herausgefunden hatte, was hier vorging, konnte sie es sich nicht leisten, mit einem anderen Menschen telepathischen Kontakt aufzunehmen. Noch nicht einmal mit jemandem, der ihr das Leben gerettet hatte. Und schon gar nicht mit Ryland Miller, der mit Sicherheit seine eigenen Ziele verfolgte und ihrem Vater die Schuld an seiner derzeitigen Lage gab. Lily erschauerte und presste sich eine Hand auf ihr schmerzendes Herz. Sie musste ihren Verstand benutzen und dahinterkommen, was sich hier tat und wer für die Ermordung ihres Vaters verantwortlich war. Ihr Kummer war so groß, dass sie vor Schmerz kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, aber damit war ihr nicht weitergeholfen. Sie musste die abscheuliche offene Wunde verdrängen, um ihrem Gehirn Bewegungsspielraum zu geben.
Sie wollte nicht an den letzten hitzigen Wortwechsel zwischen ihrem Vater und Ryland Miller denken, aber darüber konnte sie einfach nicht hinwegsehen. Es war eine ausgesprochen unerfreuliche Situation gewesen. Captain Miller hatte Peter Whitney nicht rundheraus gedroht, aber er hatte seine Drohung auch gar nicht erst in Worte fassen müssen. Er hatte Macht ausgestrahlt, und allein schon sein Auftreten hatte eine Bedrohung dargestellt. Ihr Vater wollte offensichtlich, dass Miller befreit wurde, aber ihr fehlten schlichtweg die nötigen Informationen, um sich ein Urteil darüber zu bilden, wer ihr Feind war. Der Colonel und ihr
Vater waren sich offensichtlich nicht einig über das Experiment gewesen, das heimlich in den Laboratorien von Donovans durchgeführt wurde, worum auch immer es sich dabei
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