Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
handeln mochte.
Lily ließ sich zurücksinken und starrte in die Flammen. Weder zu Hause noch an ihrem Arbeitsplatz gab es auch nur einen einzigen Menschen, dem sie vertrauen konnte. Das hieß, sie konnte niemandem gegenüber zugeben, dass sie vom Tod ihres Vaters wusste. Sie war nie eine besonders gute Schauspielerin gewesen, und doch würde sie jetzt gezwungen sein, sich zu verstellen, während sie das Versprechen hielt, das sie ihrem Vater gegeben hatte. Sie hatte keine Beweise dafür, dass jemand bei Donovans schuldig war. Die Polizei würde ihr nicht glauben, wenn sie sagte, sie hätte durch ihre übersinnlichen Kräfte mit ihrem Vater in Verbindung gestanden, als er starb. Welche Möglichkeiten standen ihr offen?
Das Aufstehen bereitete ihr Mühe. Sie fühlte sich, als drückte ein schweres Gewicht sie nieder, und sie war wacklig auf den Beinen. Sie musste den Reisigeimer säubern. Kein Anzeichen durfte darauf hinweisen, dass sich etwas Ungewöhnliches zugetragen hatte. Sie begab sich ins nächstgelegene Badezimmer und war froh darüber, dass sich nur so wenige Personen in dem riesigen Haus aufhielten. Wer konnte der Verräter sein, vor dem ihr Vater sie gewarnt hatte?
Rosa? Ihre geliebte Rosa? Sie konnte sich an keine Zeit erinnern, zu der es Rosa Cabreros in ihrem Leben nicht gegeben hatte. Sie war immer da gewesen, um sie zu trösten, sich mit ihr zu unterhalten und über all die Dinge zu reden, über die junge Mädchen reden möchten. Lily hatte nie eine Mutter gehabt und es doch nie vermisst, weil Rosa
immer für sie da gewesen war. Rosa lebte und arbeitete im Haus und war Peter und Lily Whitney treu ergeben. Sie hätte alles für die beiden getan. Rosa konnte es nicht sein. Lily schloss diese Möglichkeit augenblicklich aus.
John Brimslow? Er stand sogar noch länger als Rosa in Peter Whitneys Diensten. Offiziell war er als Chauffeur angestellt, aber nur, weil er darauf bestanden hatte, die fesche Kappe zu tragen, und weil er für die Fahrzeuge zuständig sein und ebenso gut für sie sorgen wollte wie für das Anwesen. Er verbrachte sein Leben auf dem Grundstück der Whitneys, denn er wohnte und arbeitete dort und stand Peter Whitney, der bis auf Lily nie Familie oder Freunde gehabt hatte, näher als jeder andere Mensch auf Erden.
Der einzige andere Bewohner, der dauerhaft im Haus lebte, war Arly Baker. Arly war in den Fünfzigern, ein großer, dünner Mann mit gewölbter Stirn und dicken Brillengläsern. Ein echter Computerfreak, wie er unumwunden und nicht ohne Stolz zugab. Er sorgte dafür, dass das Haus stets mit den neuesten Sperenzien und jedem erdenklichen technischen Schnickschnack ausgerüstet war. Sein Zuständigkeitsbereich waren die Alarmanlage, die sonstigen Sicherheitsvorrichtungen und die Elektronik. Er war Lilys bester Freund und Vertrauter gewesen, als sie aufgewachsen war, derjenige, mit dem sie über alle wichtigen Ideen diskutiert hatte, auf die sie im Lauf der Zeit gekommen war. Er hatte ihr beigebracht, Dinge auseinanderzunehmen und sie wieder zusammenzusetzen, und er hatte ihr dabei geholfen, ihren ersten Computer zu bauen. Arly war für sie eine Art Onkel oder Bruder. Er gehörte zur Familie. Es konnte unmöglich Arly sein.
Lily fuhr mit den Händen durch ihre dichte schwarze Mähne, woraufhin die letzten Haarnadeln in alle Richtungen
flogen. Sie fielen auf die schimmernden, hellen Fliesen und blieben dort liegen. Lily unterdrückte ein weiteres Schluchzen. Dann war da noch der alte Heath, der mindestens siebzig sein musste und immer noch für das Gelände zuständig war. Er wohnte in seinem eigenen kleinen Häuschen im Innern des Waldes hinter dem Haupthaus. Er hatte sein ganzes Leben auf dem Anwesen verbracht, war dort geboren und aufgewachsen und als Erwachsener geblieben, um die Pflichten seines Vaters zu übernehmen. Er hing von ganzem Herzen an der Familie und dem Anwesen.
»Es ist mir verhasst, Dad. Es ist grauenhaft«, flüsterte sie. »Alles, was damit zu tun hat, ist grauenhaft. Jetzt muss ich Menschen, die ich liebe, verdächtigen und ihnen Heimtücke unterstellen. Das ist doch unsinnig.« Zum ersten Mal wünschte sie sich, sie könnte in die Leute in ihrem Haushalt hineinschauen. Sie würde es versuchen, aber sie hatte es in all den gemeinsamen Jahren nie getan. Um ihrer Sicherheit willen hatte ihr Vater seine Wahl sehr sorgsam getroffen, aber auch, weil er sie in die Lage versetzen wollte, ein möglichst normales Leben zu führen.
Sie trug den Reisigeimer zum
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