Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
alledem. Er hat sich nie etwas anmerken lassen, nicht ein einziges Mal. Ich hatte nicht den leisesten Verdacht, wirklich nicht.«
Ryland sehnte sich verzweifelt danach, sie in seine Arme zu ziehen und jeden Schmerz von ihr fernzuhalten. Stumm verfluchte er die Stäbe zwischen ihnen. Das war der härteste Schlag, den Lily hätte erleiden können. Peter Whitney war ihr Vater gewesen, ihr bester Freund und ihr Mentor. Ryland drückte sie enger an sich und rieb mit seinem Kinn ihren Kopf, sodass sich ihr Haar in seinen
Bartstoppeln verfing. Es war eine kleine Liebkosung, eine Geste der Zuneigung. Eine zärtliche Geste.
Lily war ihm dankbar dafür, dass er stumm blieb. Sie war nicht sicher, ob sie ihm alles hätte erzählen können, wenn er Einwände erhoben oder Mitgefühl bekundet hätte. Ihr Vertrauen war ins Wanken geraten, ihr Glaube an ihre Mitmenschen erschüttert. Die Fundamente ihrer Welt wiesen Risse auf. »Er hat gesagt …« Ihre Stimme zitterte, bebte und brach.
Rylands Herz brach gemeinsam mit ihrer Stimme. Er merkte, dass er ihre Hand viel zu fest umklammert hielt, und er strengte sich an, seinen Griff zu lösen. Sie schien es nicht wahrzunehmen. Sie räusperte sich und versuchte es noch einmal.
»Er hat die Intensivierung übersinnlicher Fähigkeiten zuerst an Waisenkindern ausprobiert. Er hat kleine Mädchen aus Ländern getestet, in denen es massenhaft vernachlässigte Waisenkinder gibt. Er hatte das Geld und die Verbindungen, und er hat diejenigen, von denen er glaubte, sie entsprächen seinen Anforderungen, nach Amerika mitgenommen. Ich war eines dieser kleinen Mädchen. Kein Nachname, einfach nur Lily. Die weiblichen Versuchsobjekte«, sie räusperte sich wieder, »denn genau das bin ich, Ryland, ein weibliches Versuchsobjekt –, sind direkt in sein unterirdisches Laboratorium gebracht worden. Wir sind täglich Tests und Trainingsprogrammen unterzogen worden, die große Ähnlichkeit mit dem hatten, was ihr durchmachen musstet.«
Jetzt sah sie ihn an. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Bevor sie blinzeln konnte, um sie zu vertreiben, senkte Ryland den Kopf, um ihr die Tränen aus den Augen zu küssen. Er ließ seine Lippen sanft über ihre Lider
gleiten. Voller Zärtlichkeit. Lily sah blinzelnd zu ihm auf, und in ihrem Blick spiegelte sich ihre Verwirrung wider.
»Erzähl mir den Rest auch noch, Lily, spuck alles aus.«
Ihre blauen Augen waren so bekümmert, dass er sich elend fühlte. Aber etwas in seinem festen Blick musste sie beruhigt haben. Lily holte tief Atem und sprach weiter. »Er hat sich wohl gesagt, ich und die anderen Mädchen seien ohnehin unerwünscht und er stellte uns wenigstens ein anständiges Zuhause, ärztliche Versorgung und Nahrung zur Verfügung. Das war mehr als das, was wir hatten, als er uns fand. Damit hat er sein Verhalten vor sich selbst gerechtfertigt. Unsere ursprünglichen Namen waren ihm zu kompliziert, und daher hat er uns nach Blumen und Jahreszeiten benannt oder auch nach Wettererscheinungen. « Sie entzog Ryland ihre Hand und presste eine Faust auf ihre zitternden Lippen. »Wir haben ihm nicht das Geringste bedeutet. Nicht mehr als Versuchskaninchen, Ratten in einem Labor.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, während sie einander anstarrten. »Wie ich. Wie meine Männer. Er hat das Experiment mit uns wiederholt.«
Lily nickte bedächtig. Sie entfernte sich von dem Käfig und kehrte wieder zu ihm zurück. Ihre Unruhe und ihr Zorn nahmen zu. Ryland beobachtete die Schatten, die über ihr bleiches Gesicht huschten, während sie auf und ab lief, unfähig, stillzuhalten, und sein Mitgefühl strömte ihr entgegen. Sie wehrte sich auf die einzige Art und Weise, die sie kannte – mit ihrem Gehirn, indem sie die Dinge logisch durchdachte.
»Und das Schlimmste von allem ist, dass er sämtliche Probleme, die er mit euch hatte, bereits von uns kannte. Mein Gott, Ryland, er hat diese kleinen Mädchen einfach
in die Welt hinausgeschickt, schutzlos und unerwünscht, als sie ihm zu viel Ärger gemacht haben.«
Ihre Stimme war so leise, dass er sie kaum hören konnte. Sie schämte sich so sehr, als träfe sie die Schuld an dem, was ihr Vater verbrochen hatte.
Ryland griff durch die Gitterstäbe seines Käfigs und versuchte, ihren Arm zu packen. Er wollte sie an sich ziehen, aber ihre Schritte entfernten sich bereits von ihm. Sie hatte sich in sich selbst zurückgezogen und ließ niemanden an ihre Gefühle heran.
»Ich habe seine Unterlagen nie gesehen,
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