Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
meinen Angriff gefasst. Daher konnte ich ihn überrumpeln." Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte, aber Nerian war ein aufgeblasener Kerl. Dass er einem Menschen, der sich ihm näherte, nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte, war ihm durchaus zuzutrauen. Allerdings fragte ich mich inzwischen auch, wie sehr ich Danaus wohl unterschätzte. „Wie lange hattest du ihn in deiner Gewalt?" „Eine Woche."
Ich nickte und stand auf und blieb einen Moment mit den Händen in den Hüften vor ihm stehen. Seine Anspannung wuchs, doch er machte keine Anstalten, nach einem der Messer zu greifen, die er am Körper trug. Ich wusste nicht, was und wie viel er aus dem wahnsinnigen Naturi herausbekommen hatte, aber eine Woche war genug Zeit, um ein paar pikante Details an Land zu ziehen. Wie interessant er auch sein mochte, ich würde Danaus schon bald töten müssen, denn er wurde allmählich zu gefährlich. Ich konnte ihn nicht am Leben lassen.
„Hast du etwas über Rowe erfahren?" „Noch nicht. Meine Kontakte graben noch", entgegnete er. Ich hatte keine Ahnung, mit wem er in Kontakt stand und wie dieses Leute Informationen über die Naturi beschaffen wollten. Während sich die Nachtwandler im Dunklen verborgen hielten und darauf bedacht waren, ihr Geheimnis zu hüten, waren die Naturi in dieser Welt gewissermaßen nur Gespenster.
Mit einem Seufzer auf den Lippen ging ich in den hinteren Teil des Jets und setzte mich auf Michaels Schoß. Er legte seine starken Arme um mich und zog mich an seine Brust. Ich schmiegte mein Ohr an sein Herz und ließ mich von dem gleichmäßigen Pochen trösten, während meine rechte Hand mit den Locken in seinem Nacken spielte. Seine Wärme beruhigte mich, und allmählich kamen auch meine Gedanken zur Ruhe.
Eigentlich wollte ich mit der ganzen Sache gar nichts zu tun haben. Ich wollte in Frieden in meiner Stadt leben und meinen Vergnügungen nachgehen. Meine Großtat lag mehr als fünfhundert Jahre zurück, seitdem war ich meinesgleichen aus dem Weg gegangen und hatte die Gesellschaft eines Nachtwandlers höchstens für ein, zwei Nächte gesucht. Aber nun war ich plötzlich wieder mittendrin und wurde immer tiefer in den Sumpf hineingezogen. Und wie sehr ich auch dagegen ankämpfte, es gab kein Entrinnen.
9
Als ich aufwachte, war ich in einer Kiste eingesperrt. Ich geriet augenblicklich in Panik und hätte fast laut zu schreien angefangen. Ich stemmte die Hände gegen den Deckel, und meine Finger gruben sich in die kühle, seidene Auskleidung. Mit geschlossenen Augen und zusammengebissenen Zähnen rang ich meine Angst nieder. Ich hatte schon lange nicht mehr in meinem Sarg gelegen, denn meistens schlief ich in Seidenlaken auf einem großen Bett in einem fensterlosen Zimmer. Ich hatte die Reise nach Luxor ebenso wie Danaus und Nerian völlig vergessen, doch inzwischen mussten wir Assuan fast erreicht haben, das Tor zum alten nubischen Königreich und Jabaris Heimat, in dessen Nähe sich auch die antiken Gräber von Syene und die Nilinsel Philae befanden.
Ich legte die Hände wieder auf den Bauch, entspannte meine Armmuskulatur und wartete darauf, dass wieder Ruhe in meinem Körper einkehrte. Wenn ich aus dieser unseligen Geschichte herauskommen wollte, ohne getötet zu werden, musste ich gelassen bleiben und einen klaren Kopf bewahren. Ich verkniff mir einen Seufzer und öffnete die Riegel auf der Innenseite des Sargs. Ich nannte es zwar Sarg, aber eigentlich handelte es sich um eine große Kiste aus einer so gut wie unzerstörbaren, leichten Metalllegierung. Sie war weich gepolstert und mit roter Seide ausgekleidet, aber das war im Grunde nebensächlich. Wenn es Tag wurde, konnte ich auf jeder x-beliebigen Unterlage schlafen. Das Entscheidende war, dass ich kein Licht abbekam, weshalb sich die Kiste von innen mit zwei Riegeln verschließen ließ, damit sie niemand von außen öffnen konnte. Sie begleitete mich auf allen meinen Reisen, und zu Hause hatte ich noch eine in Reserve.
Nachdem ich den Deckel geräuschlos geöffnet hatte, richtete ich mich auf und stellte erleichtert fest, dass niemand in der Nähe war und meine „Auferstehungsnummer" mitbekam. Der hübsche kleine, mit dunklem Holz vertäfelte Raum war leer. Die Kiste stand auf einem Bett mit einer bunten, handgearbeiteten Tagesdecke. Die Vorhänge an den kleinen Fenstern waren nicht zugezogen, und ich blickte in den düsteren Himmel. Ich hörte Motorengeräusche und wie die Wellen gegen den
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