Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
Jahrhunderte her, seit einem Nachtwandler so etwas gelungen war. Jetzt wollte ich einfach nur nach Hause.
„Du musst Sadira beschützen, während ich Jagd auf diesen Rowe mache. Du hast mich einmal enttäuscht, aber ich bin bereit, dir noch eine Chance zu geben. Wirst du mich auch diesmal enttäuschen, meine Mira?" Mir entfuhr ein Schwall von Flüchen in drei Sprachen, und ich knallte die steinerne Statue wütend auf das Bücherregal. Mein Ausflug in die Gossensprache beeindruckte Jabari nicht im Geringsten. Er lachte nur. Er hatte gewonnen, und das wusste er. Er war der Einzige, der mich dazu bringen konnte, mich noch einmal den Naturi zu stellen. „Wo ist sie?", fragte ich mit unverhohlenem Widerwillen, als ich mich zu ihm umdrehte. Jabari sah mich überrascht an. „Nein, das werde ich nicht tun!", fuhr ich auf. „Ich werde nicht meine Kräfte nach ihr ausstrecken!"
„Sie ist in London. Ich nehme an, sie wird auf dich zukommen, sobald du dort eintriffst", sagte Jabari nach einer Pause, in der er mich noch ein bisschen hatte zappeln lassen. Ich hatte seit Machu Picchu keinen Kontakt mehr zu Sadira gehabt. Ich wollte sie auch jetzt nicht wiedersehen, aber mir blieb offenbar nichts anderes übrig. Jabaris Antwort hatte allerdings meine Neugier geweckt. „Sie ist in England?", fragte ich erstaunt, denn die Britischen Inseln waren eine Brutstätte der Magie, die Vampire in aller Regel mieden. Wir hatten schon genug Probleme, ohne auch noch Orte aufzusuchen, an denen es von Hexen und Magiern wimmelte. „Hat sie Spanien verlassen?"
„Nein, ihr Hauptwohnsitz ist nach wie vor Spanien. Ich weiß nicht, was sie auf der Insel will." Jabaris Ton war neutral, aber in seinem Blick lag etwas, das mich befürchten ließ, dass er sich über mich mokierte. Kopfschüttelnd drehte ich mich zu meinen Bewachern um. Gabriel hatte Michael geholfen, sich auf die Kissen zu legen. Mein verwundeter Engel war so weiß im Gesicht wie der Verband an seinem Arm. Solche Verletzungen gehörten natürlich zu ihrem Job; mich zu schützen bedeutete für die beiden, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Aber die vergangenen Jahre waren ziemlich ruhig gewesen, und meine Reisen waren stets ohne Zwischenfälle verlaufen.
Der anhaltende Frieden hatte uns alle auf unterschiedliche Weise verweichlicht.
„Omari!", rief Jabari in die Stille, die sich im Raum ausgebreitet hatte. „Bring Miras Begleiter zu meiner Feluke. Ich komme gleich mit Mira nach, und dann bringst du sie alle zurück nach Assuan." Ich nickte, als Gabriel mich fragend ansah, und er half Michael zusammen mit Omari auf die Beine. Michael würde sich schon bald wieder erholen, aber trotzdem war es unbeherrscht und dumm von mir gewesen, so viel von seinem Blut zu trinken. Ein solches Verhalten gefährdete nur unser beider Leben. „Gehen wir ein Stückchen, Mira", sagte Jabari, als die anderen das Haus verließen, und reichte mir die Hand.
Überrascht von seiner Geste zögerte ich. Die Erinnerung an die Schmerzen von dem Kampf in der vergangenen Nacht war noch frisch. Außerdem erholte mein Körper sich noch von der Schlacht mit den Naturi, und neue Wunden konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen. Aber es war Jabari, der nach mir verlangte, und so ergriff ich schließlich widerstrebend seine Hand. Ohne jede Vorwarnung wurde mir schwarz vor Augen.
Ich umklammerte Jabaris Hand ganz fest und spürte, wie er mich an seine breite Brust zog, und schon wurde es wieder hell: Ich sah goldenen Sand und hoch aufragende Mauern, die in warmes Licht getaucht waren. Wir waren im neuen Philae, einige Kilometer südlich von der Insel Elephantine, gerade oberhalb des Hochdamms. Ein Stück weiter versammelten sich die Menschen zu der allabendlichen Multimediashow.
Jabari verschränkte seine Finger mit meinen, kehrte der Menge den Rücken zu und führte mich zum Kiosk des Kaisers Augustus, wo es um einiges dunkler war. Anscheinend ging die Abendführung bis zum Tempel der Isis, bevor die Touristen am Kiosk von Nektanebos I. vorbei zurück zur Bootsanlegestelle gebracht wurden. Ich sah mich staunend um und bewunderte das Spiel von Licht und Schatten an den hohen Mauern. Götter und Pharaonen blickten mit erhabenen Gesichtern auf uns herab, während wir schweigend an ihnen vorbeigingen. „Gute Arbeit", sagte ich leise, während wir uns dem Augustuskiosk näherten. „Ich sehe wirklich keinen Unterschied."
Vor der Fertigstellung des Hochdamms hatte die Regierung die Bauten der inzwischen überfluteten
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