Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
alten Insel Philae nach Norden auf die höher gelegene Nachbarinsel Agilkia umgesiedelt, um sie vor dem Untergang zu bewahren. Mit größter Sorgfalt hatte man die Tempelanlagen originalgetreu wieder aufgebaut und auch das umliegende Gelände so gestaltet wie am ursprünglichen Standort.
„Pfff', machte Jabari abschätzig. „Diese Insel ist zu klein. Die Bauwerke stehen zu dicht beieinander." „Besser zu dicht beieinander als unter Wasser", sagte ich, bedauerte es aber auf der Stelle. Wie konnte ich nur so gedankenlos daherreden? Valerio! Valerio war daran schuld. Er hatte einen schlechten Einfluss auf mich ausgeübt, und die vielen Jahre an seiner Seite hatten mich im Gespräch mit anderen Nachtwandlern zu unbesonnen werden lassen. „Tut mir leid, Jabari." „Nein, nein", fuhr er auf, dann hielt er inne. Er seufzte schwer, fuhr sich mit der Hand über den Kopf und richtete den Blick auf den Augustuskiosk. „Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss, meine Kleine." Er ließ meine Hand los, um mich in seine Arme zu schließen. Ich zuckte zusammen, doch als er einen Kuss auf meine Schläfe hauchte, entspannte ich mich.
„Ich habe überreagiert, als ich dich gestern an der Seite dieses Menschen im Steinbruch sah. Ägypten war immer unser Zuhause, bis du gegangen bist, und dann .. dann tauchst du auf einmal mit einem Vampirjäger und schlechten Nachrichten von den Naturi auf. Ich wollte dich nicht.. " Ich war völlig perplex. Ich wusste nicht, was mich mehr überraschte: dass er Ägypten als „unser Zuhause" bezeichnet oder dass seine Stimme gezittert hatte, als er meinen Weggang erwähnt hatte. Damals hatte es nicht die geringsten Diskussionen gegeben. Ich hatte dem Alten gesagt, dass ich nach Europa zurückkehren wollte, und er hatte nichts unternommen, um mich davon abzuhalten. Mir war nicht bewusst gewesen, dass meine Entscheidung, Ägypten zu verlassen, ihn geschmerzt hatte.
Ich löste mich aus seiner Umarmung, legte die Hände um sein Gesicht und strich mit dem Daumen über seine Lippen. Es war ein herrliches Gefühl, seine glatte Haut nach so langer Zeit wieder unter meinen Fingern zu spüren. „Es war an der Zeit, dass ich gehe", flüsterte ich mit erstickter Stimme. Jabari nahm meine rechte Hand und legte sie auf seine Brust. „Ich weiß, aber mein Herz wollte nicht, dass du gehst." Es war zwar kein Herzschlag zu spüren, aber ich verstand seine Geste trotzdem.
Nun beugte Jabari sich zu mir vor und küsste mich. Zuerst berührten seine Lippen die meinen nur ganz leicht, als wolle er testen, wie ich reagiere. Ich ging sofort auf die Zehenspitzen und schmiegte mich an ihn, und als ich die Arme um seinen Hals schlang, wurde der Kuss sehr schnell fordernd und besitzergreifend. Jabari schien mich nach den langen Jahren der Trennung zurückerobern zu wollen, gleichzeitig aber auch neu für sich zu entdecken. Ich schmiegte mich fest an ihn und gab mich ihm hin.
Als der Kuss inniger wurde, merkte ich, wie Jabari auch in mein Bewusstsein vordrang, und zum ersten Mal seit langer Zeit konnte ich ihn endlich wieder spüren. Ich spürte die Präsenz seiner Seele, und von meiner Seele fiel eine Anspannung ab, deren ich mir gar nicht bewusst gewesen war. Einen Augenblick lang war Jabari alles und überall. Die Welt hörte auf zu existieren, und die Jahre wurden zurückgespult. Ich war zu Hause und in Sicherheit.
Und dann war es plötzlich wieder vorbei. Jabari löste sich langsam von mir und zog sich aus meinem Bewusstsein zurück. Meine Lippen kribbelten, und ich hatte ein brennendes Gefühl in der Brust. Es war, als hätte er mich gebrandmarkt und mit einem für alle Nachtwandler sichtbaren Zeichen versehen, das besagte: „Mira gehört Jabari." Nicht als Gefährtin, das auf keinen Fall, aber als .. etwas anderes. Der Alte strich mir über die Wangen, um ein paar Tränen wegzuwischen, die ich gar nicht bemerkt hatte. „Wie schätzt du die Lage ein, Jabari?", fragte ich, ohne verhindern zu können, dass Angst in meiner Stimme lag. „Die Naturi haben einen Weg gefunden, das Siegel zu schwächen", entgegnete Jabari ganz ruhig und bar jeder Emotion. Unsere Welt war wieder in Ordnung, und wir waren wieder auf der geschäftlichen Seite unserer Beziehung. „Wie?", fragte ich und bemühte mich, genauso gelassen zu klingen wie er. „Mit Tabors Tod kann es nichts zu tun haben. Das ist schon über fünfzig Jahre her. Warum hätten sie so lange warten sollen?" „Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben. Das
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