Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
wir würden in einem zwielichtigen Viertel landen, im Hinterzimmer einer Spelunke oder in einer heruntergekommenen Lagerhalle, die von fetten Ratten bevölkert war.
Direkt gegenüber befand sich der Grosvenor Square, der von alten hohen Bäumen gesäumt war. In diesem Bezirk bestimmten alte Backsteinhäuser und schwarze Eisenzäune das Bild, mit denen man sich den Pöbel vom Hals hielt. An den Ecken standen Straßenlaternen, die den Nebel zurückzudrängen versuchten, der von der Themse heraufzog, nachdem die Temperaturen am Abend gesunken waren.
Die Stimmung hier war ganz anders als in Savannah. Das alte Europa war ruhiger, insgesamt zurückhaltender, als verlangte seine dunkle Geschichte in den finsteren Nachtstunden nach Stille. Als könnten sonst Gestalten aus den alten Mythen oder vielleicht sogar meinesgleichen aus den dunklen Ecken gekrochen kommen. In Europa hielt man viel länger an alten Ammenmärchen und am Aberglauben fest und verflocht all das mit historischen Fakten, als wäre es wahr. Die Neue Welt mit ihrem kürzeren Gedächtnis und ihrer Schnelllebigkeit hingegen ließ sich von nichts aufhalten, nicht einmal von alten Gruselgestalten wie Vampiren. Achselzuckend folgte ich Danaus zum Eingang und versuchte, die Schwingungen zu ignorieren, die ich rings um mich spürte. Auf dieser ehrwürdige Insel lag zu viel Magie in der Luft, viel zu viel alte Magie.
Danaus betrat, ohne anzuklopfen, mit mir das Haus und ging zielstrebig durch den Korridor auf eine Tür links von der Treppe zu. Er kannte sich hier offenbar aus. Es war ein typisches englisches Stadthaus mit glänzenden Dielenböden und orientalischen Teppichen. Die Gemälde an den Wänden zeigten Jagdszenen und wilde Gärten vor dunklen Wäldern. Es gab keine Fotos von Familienmitgliedern und Freunden. Ich breitete meine Sinne aus und fand nur eine andere Person im Haus: einen Mann, der extrem nervös war. Ich musste unwillkürlich grinsen, sodass meine spitzen Eckzähne kurz unter meiner Oberlippe hervorschauten. Danaus blieb vor der Flügeltür stehen und drehte sich zu mir um. Er hatte meine Macht gespürt, als ich das Haus absuchte, beließ es aber bei einem missbilligenden Blick und verzichtete darauf, mich zu tadeln.
Dann öffnete er die Tür, und wir betraten eine hell erleuchtete Bibliothek. Der Mann, der hinter dem Schreibtisch saß, fuhr auf, überspielte seine Schreckhaftigkeit aber, indem er sich rasch erhob. Er trug einen dunkelbraunen Anzug, ein cremeweißes Hemd und eine braun gemusterte Krawatte. Auf seiner spitzen, geraden Nase saß eine runde Brille mit Goldrand.
Ich fing an zu lachen. Ich lachte so sehr, dass ich mich an Danaus' Schulter anlehnen und mir den Bauch halten musste. Die Überraschung war gelungen. Ich hatte natürlich angenommen, dass Themis nur aus Jägern wie Danaus bestand. Dass es sich um eine Gruppe von ausgebildeten Mördern handelte; um kaltblütige, abgebrühte Söldner. Der verwirrte Mann hinter dem Schreibtisch sah jedoch aus wie ein Bibliothekar. Ich betrachtete ihn lachend aus den Augenwinkeln. Er zog hörbar die Luft ein, als die Macht, die in meinem Gelächter schwang, um ihn herumstrich wie eine Katze, die gestreichelt werden will. Interessant. Wenn er sie spüren konnte, musste er Erfahrung mit Magie haben.
In diesem Moment hörte ich schlagartig auf zu lachen, als hätte ich einen Schalter umgelegt. Gerade noch hatte mein Gelächter den ganzen Raum erfüllt, und nun herrschte plötzlich Stille. Nur die hektischen Atemzüge des Mannes waren zu hören. Ich sah Danaus an. Kein Stirnrunzeln. Keine wütenden Blicke. Keine unausgesprochenen Drohungen. Seine Miene war völlig ausdruckslos. Ich hätte fast wieder angefangen zu lachen. Auf seine eigene Art gestattete er mir, mich ein bisschen zu amüsieren. Wenn ich zu weit ging, würde er natürlich versuchen, mich zu zügeln, aber bis es so weit war, ließ er mich gewähren.
„Genug gescherzt", sagte ich schließlich. „Ich habe meinen Spaß gehabt, aber uns läuft die Zeit davon. Wo ist der Kontaktmann von Themis?" „Ich .. ich bin von Themis", stammelte der Mann und reckte sein Kinn ein wenig höher in die Luft. „Ich will nicht mit dem Buchhalter sprechen." „Ich bin ein anerkanntes Mitglied von Themis und schon fast zehn Jahre dabei", erwiderte er verärgert, und mit einem Mal klang seine Stimme viel energischer. Er schaute kurz zu Danaus, bevor er mich wieder ansah, als wolle er ihn bitten, Partei für ihn zu ergreifen. „Tatsächlich?" Ich
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