Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
Danaus inzwischen geduscht und frische Sachen angezogen. Er hatte sich von dem Gestank der Naturi befreit, und sein Geruch erinnerte mich einmal mehr an einen warmen Sommerwind, der über die Schaumkronen des Mittelmeers wehte. Er war ordentlich rasiert und sah aus, als habe er tatsächlich ein paar Stunden geschlafen. Als ich mit den Lippen sein Ohr berührte, spannten sich seine Muskeln an. „Weiß Themis, was du draufhast?", flüsterte ich ihm zu. Als Reaktion auf eine Regung in seinem Inneren, die ich nicht recht einordnen konnte, flammten seine Kräfte auf. Es war vermutlich nicht meine Frage, die das ausgelöst hatte, sondern irgendein verborgener Gedanke. Das konnte ich verstehen. Wir hatten alle etwas zu verbergen. „Nein."
„Habe ich mir gedacht", murmelte ich. Als ich gerade mein Bein von seinem Schoß nehmen wollte, legte Danaus die Hand auf meinen Oberschenkel. Sie fühlte sich wärmer an, als ich gedacht hatte, und es kam mir vor, als brenne sie sich durch meine Lederhose. Völlig überrascht über seine plötzliche Bereitschaft, mich anzufassen, hielt ich inne. Als er mir sein Gesicht zukehrte, berührten meine Lippen seine Wange, und wir erstarrten beide. Danaus atmete langsam aus, und ich nahm seinen Atem in mir auf. Wenn einer von uns sich auch nur einen Zentimeter bewegte, berührten sich unsere Lippen, doch wir saßen da wie zwei steinerne Statuen. „Und Jabari?", fragte er schließlich heiser.
Ich starrte sein scharf geschnittenes Profil an und ertrank regelrecht in seinen tiefblauen Augen. Ich hatte es Jabari nicht gesagt. Es war mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dem Alten davon zu berichten. Hätte ich es getan, dann hätte Danaus Assuan natürlich nicht lebendig verlassen. Aber warum hatte ich es Jabari nicht gesagt? Wenn er mich nicht wegen der Sache mit Nerian tötete, dann hatte ich mein Leben auf jeden Fall durch diese Unterlassung verspielt. Warum hatte ich es ihm nicht gesagt? Vielleicht, weil ich nicht gern teilte? Jabari hätte Danaus getötet, und das wäre es dann gewesen. Er verstand nicht, welche Herausforderung der Jäger darstellte. Oder hatte ich es ihm verschwiegen, weil Danaus -wie ich - ein Außenseiter innerhalb seiner Art war? Aber ich wusste ja gar nicht, was er war, also führte diese Überlegung in eine Sackgasse.
„Nein", antwortete ich, ohne meine Verblüffung verbergen zu können. Danaus zog eine Augenbraue hoch und imitierte damit einen meiner Lieblingsgesichtsausdrücke. Ja. Ich war eben voller Überraschungen. „Flieder", sagte er plötzlich, und als ich darauf mit einem verdutzten Schweigen reagierte, fuhr er fort: „Du riechst nach Flieder. Was du auch tust, du riechst immer nach Flieder." Ich bewegte ganz leicht den Kopf und strich mit den Lippen über seine Wange. Jede Faser meines Körpers schrie nach einem Kuss, nach einer kleinen Kostprobe von seinen Lippen und seinem Mund. Meine Hand spannte sich fester um seine Schulter, und ich schmiegte mich dichter an ihn. „Wie du nach Sonne und Meer riechst?" „Ja." Er grub seine Finger in meinen Oberschenkel, aber es lag nichts Bedrohliches in dieser Geste. Er massierte vielmehr meine Muskeln und drückte mich fest an sich. „Ist das schlimm?" Ich bewegte meine Lippen langsam seinen Unterkiefer entlang bis zu seinem Mundwinkel. „Nein. Nur .. überraschend." Danaus wendete mir im Zeitlupentempo seine geöffneten Lippen zu, und sein heißer Atem streichelte mein Gesicht.
Als plötzlich ein Stift zu Boden fiel, wichen wir ruckartig auseinander. Den verdatterten Bibliothekar hatten wir völlig vergessen. Mit einem leisen Knurren drehte ich mich zu dem Mann hinter dem Schreibtisch um. Danaus umklammerte mein Bein und legte den anderen Arm um meine Taille, um mich festzuhalten. „Soll ich ihn aus dem Fenster werfen?", sagte ich leise. „Mira ..." Ich schaute ihn an und suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen für Frustration. In seinen Augen sah ich sie nicht, aber der Beweis drückte gegen meinen Oberschenkel, der immer noch auf seinem Schoß ruhte. „Ich werde ganz behutsam sein." „Mit mir oder mit ihm?" Er hatte wohl nicht beabsichtigt, die Frage laut zu stellen, denn seine Augen weiteten sich schlagartig. Ich beugte mich zu ihm, um den Kuss zu vollenden, bei dem wir so unhöflich gestört worden waren, als Danaus plötzlich sagte: „Die Naturi!"
Die einzigen Worte, die meine Libido von jetzt auf gleich zum Erliegen bringen konnten. Ich ließ den Kopf sinken und legte meine Stirn an seine
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