Jägerin der Nacht 02 - Day Hunter
ausgeliefert hatte, genügte vollends. Während ich die Gesichter überflog, bemerkte ich Valerio, der sich in einem der Sitze mit den hohen Lehnen lümmelte, die langen bleichen Finger über dem Bauch verschränkt. Er verzog einen Winkel seines hübschen Mundes zu einem Grinsen, als wolle er mich herausfordern, ihn zu beschuldigen, aber seine Kleidung war unbefleckt, ganz im Gegensatz zu der einiger seiner Kumpane. Er hatte sich das Spektakel angeschaut. Seine Haltung war neutral, nicht herausfordernd, aber er war auch nicht auf meiner Seite. Mehr war momentan nicht drin für mich.
„Ich fand ihn recht delikat", verkündete Gwen und erhob sich anmutig von einem der Sitze zu meiner Linken, nahe der Plattform an der Stirnseite der Halle. Ihr blassblaues Hemd und die kurzen weißen Shorts waren mit Tristans Blut beschmiert. Ohne die Blutflecken und das Leuchten in den zusammengekniffenen Augen hätte sie wie eine Touristin ausgesehen. „Ich hatte so gehofft, dass du das sagen würdest", erwiderte ich und wiegte die Worte in der Umarmung eines finsteren Lachens. Ich ging um Tristan herum, sodass ich zwischen ihm und Gwen stand. „Hatte ich nicht gesagt, dass ihn niemand anrühren darf?"
„Die Ältesten haben ihn uns versprochen", antwortete sie. Sie lächelte so triumphierend, dass ihr ganzes blutverschmiertes Gesicht aufleuchtete. „Ich habe dich gewarnt", sagte ich laut und deutlich auf Italienisch. Das Italienisch kam wie von selbst, als mein Verstand umstandslos in scheinbar längst verblasste Erinnerungen an Kämpfe zurückfiel, die vor den Augen der Ältesten ausgetragen wurden. Die Gewalt, die Brutalität und das ungezügelte Verlangen, zu zerreißen und zu zerfetzen, hatten sich in der Luft verdichtet, bis sie zu einem lebendigen, atmenden Wesen geworden war.
Während ich sprach, erwachten überall im Saal Kerzen zu flackerndem Leben. Die kleinen Feuertränen schössen in die Höhe und scheuchten die zitternden Schatten in die hintersten Ecken. „Das Wort des Konvents ist Gesetz!", rief Gwen, ihre Augen zuckten von mir fort, als sie die verstärkte Beleuchtung durch das Feuer bemerkte. Angestrengte Falten bildeten sich um ihre Mundwinkel, während sie darum kämpfte, nicht das Gesicht zu verziehen. „Darüber kannst auch du dich nicht hinwegsetzen, Feuermacherin."
„Eine Herrin hat das Recht, den Gebrauch ihrer Gespielen zu verweigern, wenn sie es wünscht", sagte ich und zitierte damit ein altes Gesetz. „Seine Schöpferin hat ihn ausgeliefert", protestierte Gwen und zeigte auf Sadira. Ihr Lächeln war etwas schwächer geworden, und der ausgestreckte Zeigefinger zitterte unübersehbar. Niemand verweigerte jemals den Gebrauch seiner oder ihrer Gespielen, wenn ein Ältester die arme Kreatur zur Unterhaltung wünschte. Wenn ein Meister das täte, würde er den Gespielen gegen alle Ansprüche verteidigen müssen. In all den Jahren hatte ich nur von einem solchen Fall gehört. Jabari hatte Macaire zurückgewiesen, als er nach mir verlangt hatte, und das hatte die beiden noch tiefer entzweit. Dass ich zu jener Zeit weder Jabaris Gefährtin gewesen war, noch dass er streng genommen als mein Meister anerkannt gewesen wäre, hatte die Sache auch nicht gerade besser gemacht.
„Ich bin seine Herrin. Ich habe dich gewarnt", wiederholte ich. Die Worte kamen leise und unaufgeregt, täuschend ruhig, aber Gwen ließ sich nicht für dumm verkaufen. „Du bist ein Nichts!", schrie sie und ballte die Hände an ihren Flanken zu Fäusten.
Ich lachte leise, wobei meine Stimme in noch tiefere, feurigere Lagen sank. Der Klang dehnte sich seltsam im Raum aus und hallte von den Wänden wider, als ich auf sie zustürmte. Meine Faust krachte gegen ihren Kiefer, ehe ich noch zum Stillstand kam. Sie versuchte auszuweichen, aber ihre Reaktion kam um Haaresbreite zu spät. Ich spürte, wie unter meiner Hand Knochen splitterten, als ihr Kopf zurückschnappte; die Wucht des Schlags schleuderte sie rückwärts an die Wand.
Gwen versuchte, schnell wieder auf die Füße zu kommen, während ihr das Blut aus dem Mundwinkel rann, aber ich war schon bei ihr. Ich packte sie am Hals und riss sie in die Luft. In Anbetracht der Tatsache, dass sie mehrere Zentimeter kleiner war als ich, war das nicht schwer. Ihre langen Fingernägel zerkratzten mir Hand und Unterarme, während sie darum kämpfte, sich loszumachen. Kleine Blutbäche traten an die Hautoberfläche und liefen mir über die weiße Haut. Ich zog die Lippen weit genug zurück, um
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