Jägerin der Nacht 02 - Day Hunter
Mensch." Rowe zuckte bei dieser Bemerkung die breiten Schultern. „Vielleicht." Dann verengten sich seine Augen, und sein Mund verzog sich zu einer Grimasse. „Du hast es damals geschafft mich zu überzeugen. Ich wollte noch ein letztes Mal die Sonne sehen"', äffte er mich mit hoher Fistelstimme nach, die indes kein bisschen nach mir klang. „Es war das letzte Mal, dass ich die Sonne gesehen habe", stellte ich fest. „Ich dachte, du würdest sterben", bellte er und machte sich von dem Baum los, kam aber nicht zu mir herüber.
„Im ganzen Land starben die Menschen wie die Fliegen. Und ich dachte, du würdest auch sterben."
Das war teilweise der Grund für Sadiras Angebot gewesen, mich zu verwandeln. Der Schwarze Tod hatte Europa seit mehreren Jahren heimgesucht, und sie fürchtete langsam, dass auch ich ihm nicht entkommen würde. Wäre ich krank geworden, hätte sie mich nicht heilen können und wäre gezwungen gewesen, mir beim Sterben zuzusehen. Also hatte sie mir angeboten, eine Nachtwandlerin aus mir zu machen. Erst vor Kurzem hatte ich herausgefunden, dass natürlich noch ganz andere Gründe eine Rolle gespielt hatten, aber das war nicht Teil meiner eigenen Erinnerungen, also blieb Sadira für mich meine alleinige Schöpferin.
„Nein, ich habe damals an eine andere Art von Tod gedacht", murmelte ich. „Aarrgh!", schrie Rowe und fuhr sich wütend mit beiden Händen durch das Haar, während er einen Schritt auf mich zumachte und dann wieder zum Baum zurückkehrte. „Hätte ich an jenem Tag etwas unternommen - irgendetwas -, dann hätte so vieles anders kommen können. Wenn ich dich doch nur getötet oder diesen Vampiren entrissen hätte, dann wäre die Geschichte anders verlaufen", ereiferte er sich.
Das war ein interessanter Gesichtspunkt, den ich noch gar nicht bedacht hatte. Wäre ich nicht am Machu Picchu gewesen, dann hätten die Naturi höchstwahrscheinlich die Pforte geöffnet und wären zur Erde zurückgekehrt. Alles wäre vollkommen anders gekommen, wenn es mich nicht gegeben hätte. Nachdem ich auf so viele anscheinend harmlose Entscheidungen der letzten Jahre zurückgeblickt hatte, die dann grauenhafte Folgen gehabt hatten, war es schön, mal jemanden zu treffen, der mit dem gleichen Schrecken fertig werden musste. Wenn Rowe vor sechshundert Jahren einen etwas seltsamen Menschen getötet hätte, würde seine Ehefrau und Königin nun Seite an Seite mit ihm und der restlichen Naturi-Horde auf der Erde wandeln. Die jetzt drohende Schlacht stünde ihnen nicht bevor. Ein breites Lächeln tanzte um meine Lippen und ließ meine Augen aufleuchten. Ich war nicht die Einzige, die vollkommenen Mist baute und es nicht einmal merkte, bis es für jede Rettung zu spät war.
„Wir wären frei", sagte er leise und voll sehnsüchtigem Verlangen. Mein Lächeln verschwand. „Und ich wäre tot. Unzählige Menschen und Nachtwandler und Lykaner wären tot. Die Bori wären frei. Der alte Krieg würde aufs Neue ausbrechen", sagte ich, und meine Stimme gewann zum ersten Mal, seit ich Rowe gesehen hatte, wieder an Kraft.
„Du glaubst, die Bori würden freikommen, wenn die Naturi zurückkehren würden?", entgegnete er und lehnte sich wieder an den Baum. Er schien seinen Moment der Enttäuschung überwunden zu haben, aber andererseits hatte er auch fünfhundert Jahre Zeit gehabt, sich mit diesem Wissen anzufreunden.
„Natürlich. Es ist die einzige Option, die allen Nicht-Naturi dann noch bleiben würde." Ich machte ein paar Schritte auf ihn zu und schob die Finger in die Seitentaschen meiner Lederhosen. „Wenn die Nachtwandler herausfinden würden, dass wir euch nicht besiegen können, dann würden wir einen Weg finden, die Bori freizulassen, die Einzigen, die es an Macht mit euch aufnehmen können."
„Ein traurige Zukunft, die du da ausmalst", sagte Rowe kopfschüttelnd. „So muss es ja nicht kommen", sagte ich, und das breite Grinsen kehrte auf mein Gesicht zurück. „Du könntest einfach gehen. Vergiss deine Pläne, das Siegel aufzubrechen, für immer, und lass die Naturi wieder dem Vergessen anheimfallen." Zu meiner Überraschung schnaubte Rowe erneut und verschränkte die Arme vor der Brust. „Würdest du mich vor meinem Volk beschützen?"
Ich lächelte. Es war das gleiche Angebot, das er mir vor einigen Nächten gemacht hatte. Wechsle die Seiten. Verrate deine eigenen Leute. „Selbstverständlich." „Ich meine es ernst, Mira. Du gehörst nicht zu ihnen." „Ich bin eine Nachtwandlerin, Rowe. Das
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