Jägerin der Nacht 02 - Day Hunter
Die Luft summte, und die Erde bebte, als ein weiterer Blitz unmittelbar hinter mir einschlug. Ich schleuderte ihn mit dem Rücken gegen seinen Baum, packte ihn mit den Fäusten am roten Hemd und beugte mich so weit vor, dass meine Nase beinahe mit seiner zusammenstieß. „Du kannst vielleicht Blitze kontrollieren, aber ich gehe jede Wette ein, dass du keinen Blitzschlag überlebst. Also lautet die Frage: Wie dringend willst du meinen Tod?"
„Interessante Wette", antwortete er. Seine grünen Augen fixierten meine, und ein Grinsen verzerrte seine Lippen. Die Energie, die um uns herum knisterte und knackte, ließ nur einen Schluss zu: Er zog die Energie aus der Erde, und ich konnte es spüren; etwas, das eigentlich unmöglich war. Nachtwandler verloren jede Verbindung mit der Erde, wenn sie wiedergeboren wurden.
Das Gefühl der wachsenden Macht, die mir ins Fleisch biss und an den Knochen nagte, war zugleich wunderbar und schmerzhaft. Die Energie suchte nach einem Weg in meinen Körper, wurde aber von meinem Wesen abgestoßen. Nachtwandlerwaren Geschöpfe der Blutmagie. Erdmagie konnten wir nicht wirken. Oder jedenfalls hatte man mir das immer erzählt.
„Natürlich wissen wir beide, dass mein Tod dir kein bisschen dabei hilft, etwas über deine vermisste Frau herauszufinden", sagte ich, um ein paar Sekunden zu gewinnen. „Und wir haben beide gesehen, dass es absolut nach hinten losgeht, mich zu entführen." „Ich bin sicher, mir fallen noch ein paar andere Möglichkeiten ein." „Wenn du schon mal dabei bist, warum lässt du dir dann nicht gleich noch ein paar Gründe einfallen, warum eine Naturi auf einer Insel voller Nachtwandler gefangen gehalten wird und dabei vollkommen in Sicherheit ist?"
Ich nahm den Kopf so weit zurück, dass ich ihm geradewegs in die Augen sehen konnte, ohne zu schielen. Aus dieser Entfernung konnte ich die Narben erkennen, die sich über seine rechte Gesichtshälfte zogen und unter der Augenklappe verschwanden. Ich konnte mich erinnern, dass er bei unserem Treffen vor vielen Jahren nur ein paar verblasste Narben am Hals gehabt hatte, aber sonst nichts. Einst war er blass und blond und beinahe vollkommen gewesen, jetzt jedoch stand er düster und vernarbt vor mir. Was hatte er nur durchgemacht, dass einen Naturi so zeichnen konnte?
„Ich glaube, du hast größere Probleme als mich", sagte ich und löste langsam meinen Griff um sein Hemd. Ich wusste, dass die Naturi auf San Clemente keine Geisel war, sondern Teil einer Abmachung, an der der Konvent gerade arbeitete. Andererseits wusste Rowe, dass sich eine Naturi auf der Insel befand, hatte aber keine Ahnung, wer sie war oder warum sie sich dort aufhielt, was dafür sprach, dass nicht er sie geschickt hatte. Er hatte mit dem, was diese andere Naturi und der Konvent zusammen ausheckten, nichts zu tun. Ich war nicht die einzige Betrogene in Venedig.
Ich zwinkerte ihm ein letztes Mal zu, als ich mich entfernte, und hoffte, dass ich ihm genug Stoff zum Nachdenken gegeben hatte, damit ich an einen belebten Ort entkommen konnte. „Ein guter Rat noch", sagte ich, „ich würde erst mal all meine Leute auf Linie bringen, bevor ich es in vier Nächten noch mal versuche."
Ehe ich mich aus dem Staub machen konnte, packte mich Rowe grob an den Schultern und hielt mich nur Zentimeter von seinem Körper entfernt fest. Ein böses Grinsen verzerrte seinen Mund, und ein Lachen funkelte in seinem gesunden Auge. „Du meinst, du erinnerst dich nicht daran, dass ich auf dem Machu Picchu war", murmelte er. „Dann sehen wir doch mal, ob ich deine Erinnerung auffrischen kann."
Zu meinem Entsetzen riss er mich an sich und presste seine Lippen auf meine. Ich erstarrte, während mein Verstand in einer Mischung aus Ungläubigkeit und Ekel vollkommen stillstand. Und dann geschah etwas noch Schlimmeres. Ich begriff, dass mir seine Berührung, sein Geruch und sein Geschmack nur allzu vertraut waren. Ich schob ihn heftig von mir weg und befreite mich aus seinem Griff, als ich zurückstolperte. Sein spöttisches Lachen verfolgte mich, aber das bekam ich kaum noch mit, während meine Gedanken zu meiner Zeit am Machu Picchu zurückrasten.
„Du warst in der Höhle", stieß ich mit zugeschnürter Kehle hervor. „Du dachtest noch immer, ich wäre ein Mensch", höhnte Rowe.
Ich war völlig erschöpft gewesen, gebeugt unter der Last von Schmerz und Hunger, nachdem man mich über eine Woche lang gefoltert hatte. Eine Stunde vor Sonnenaufgang brachten sie mich in
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