Jägerin der Nacht: Firestarter (German Edition)
aus dem Fenster, nur um ganz sicherzugehen, dass ich nicht den Verstand verloren hatte und dass es wirklich Nachmittag war. Die Morgensonne hatte einem grauen, bedeckten Himmel Platz gemacht, Vorboten einer Sturmfront, die sich auf die Gegend zubewegte. Es sah aus, als könnte es jeden Moment zu regnen anfangen. Weit und breit zeigte sich kein Sonnenstrahl, aber Mira wollte anscheinend kein Risiko eingehen.
Ich zog die Vorhänge zu, aber sie entspannte sich erst dann wieder, als ich ein paar Schritte vom Fenster zurücktrat. Langsam stand sie auf und verschränkte die Arme.
»Wie kommt’s, dass du wach bist?«, wollte ich wissen.
»Ein Geschenk von einem Freund«, sagte sie und grinste schon wieder.
»Ryan.« Der Name des Zauberers kam von irgendwo tief in meiner Brust und drang als Grollen aus meiner Kehle. Wut und Enttäuschung mischten sich darunter.
»Dein Zauberer hat sich als äußerst nützlich herausgestellt.« Sie klang gleichgültig, doch ich wusste es besser.
»Wieso? Was hat er getan?«
»Geht dich nichts an.«
Als ich sie böse ansah, lächelte sie nur noch breiter. Ich traute keinem von den beiden, und wenn sie plötzlich gemeinsame Sache machten, verhieß das nichts Gutes. »Du warst die ganze Zeit mit Ryan zusammen.«
Mira lachte leise und lehnte sich in der Ecke gegen die Wand. Sie schob die Hände in die Seitentaschen ihrer Jeans und musterte mich. »Es klingt so gemein, wenn du das sagst. Bist du etwa eifersüchtig?«
»Man hat dich vermisst. Die Lykaner haben mich heute auf der Suche nach dir hopsgenommen.«
»Ja.« Mira runzelte die Stirn. »Barrett war so freundlich, mir heute eine ziemlich angepisste Nachricht auf meiner Mailbox zu hinterlassen. Anscheinend warst du nicht untätig. Es hat mich eine gute Stunde gekostet, ihm zu versichern, dass ich weder entführt noch getötet worden bin.«
»Du warst spurlos verschwunden«, erinnerte ich sie.
»Ich bin eine Nachtwandlerin. Was soll ich denn sonst tun?«
»Hast du dir wenigstens die Mühe gemacht, Gabriel mitzunehmen?« Früher war sie nie ohne Begleitschutz unterwegs, aber nach dem Tod ihres anderen Bodyguards, Michael, spürte ich, dass sie zögerte, Gabriel auf Reisen mitzunehmen.
»Ich bin nicht wehrlos.« Ihre zusammengekniffenen Augen begannen wieder zu glühen, diesmal vor Wut. Ganz sicher würde mir Mira die Kehle herausreißen, wenn ich es zu weit trieb. Geduld war nicht gerade ihre Stärke.
»Tristan aber nicht. Hast du ihm überhaupt gesagt, dass du die Stadt verlässt?«
»Der kommt sehr gut allein zurecht«, fauchte sie. Sie zog die Hände aus den Taschen und kam auf mich zu. »Schließlich hat sie es ihm beigebracht.« Keine Frage, wer mit »sie« gemeint war. Sadira hatte Tristan vor über einem Jahrhundert erschaffen, ebenso wie einst Mira. Sie hatte Tristan bewusst klein gehalten und von sich abhängig gemacht, als wollte sie sichergehen, dass er, anders als Mira, immer bei ihr bleiben würde.
»Ich habe mir das nicht ausgesucht«, fuhr sie fort, während sie zum ersten Mal meinem Blick auswich und die Fäuste ballte. Das stimmte. Mira legte großen Wert auf ihre Unabhängigkeit und ihr Leben als Einzelgängerin. Sie hatte mir einmal gesagt, dass sie nie einen ihrer Art erschaffen hatte und es auch nie tun würde. Und doch musste sie sich nun um das Kind einer anderen kümmern, weil sie es nicht hatte mit ansehen können, wie Tristan von seiner Umgebung gequält wurde. Und um die Sache noch schlimmer zu machen, hatte sie mit mindestens zwei anderen Nachtwandlern eine Familie gegründet, um sie zu schützen und die Stadt ein kleines bisschen sicherer zu machen.
»Egal. Jetzt bist du seine Herrin.«
»Was fällt dir ein, mich über meine Pflichten zu belehren, Jäger? Tristan gehört mir, und ich würde nie zulassen, dass ihm jemand etwas Böses antut.« Ihre Kräfte füllten plötzlich den Raum, als wehte eine kühle Brise herein, die einen Hauch von Lilien mit sich führte. Wir starrten einander an. Die Spannung stieg, bis meine Wangenmuskeln zu zucken begannen. Ich wartete darauf, dass sie sich zuerst bewegte. Ganz sicher würde ich nicht als Erster zuschlagen.
Und dann verflüchtigte sich die Energie genauso plötzlich, wie sie gekommen war. Mira wich ein paar Schritte zurück und schüttelte den Kopf. Sie sah ein wenig verwirrt aus. Ich wusste, dass ihr die gleichen Gedanken durch den Kopf gehen mussten wie mir. Wie hatten wir einander nur so schnell bis an den Punkt treiben können, an dem wir uns
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