Jägermond Bd. 1 - Im Reich der Katzenkönigin
dem Haus herauskommen. Er probierte einen wackeligen Schritt und knickte ein.
Also, so schnell noch nicht.
»Komm, hier ist ein Korb für dich, Kater. Den hat früher Melle bewohnt. Die war auch schwarz. Und ihre Decke. Vielleicht riecht die sogar noch nach ihr.«
Tat sie. Ganz entfernt steckte noch der Geruch einer Kätzin in dem weichen Stoff. Stärker aber war der Geruch nach Futter.
Sein Magen meldete sich.
Es schmeckte. Danach fühlte Nefer sich kräftiger und humpelte langsam durch das Zimmer. Das Mädchen saß an einem Schreibtisch und kratzte auf Papier herum. Sie sah harmlos aus. Schmal und groß, mit braunem, halblangem Kopffell, das sie zu einem kleinen Büschel im Nacken zusammengebunden hatte. Er setzte sich neben ihr Bein und nahm ihren Geruch auf. Menschlich, irgendwie auch blumig, ein bisschen nach Wald und Erde.
»Na, geht es dir besser? Ich weiß, ist immer blöd bei Ärzten. Ich hasse das genauso. Aber du hattest eine vereiterte Pfote, und die wird jetzt wieder gut, glaub mir.«
Sie sprach mit ihm, erklärte ihm seinen Zustand, als sei er ihresgleichen. Erstaunlich. Das taten Menschen gewöhnlich nicht, so hatte man es ihn gelehrt. Dazu waren sie nicht intelligent genug.
Er sah zu ihr hoch, und sie lächelte.
»Ich bin Felina. Und wie es aussieht, werden wir eine Weile zusammenbleiben. Ich meine, wenn du möchtest. Irgendwie müsstest du mir deinen Namen verraten, Kater.«
Tja, hätte er noch den Ring im Ohr gehabt, wäre das kein Problem gewesen. Nur – vermutlich würde sie schlichtweg in Ohnmacht fallen, wenn er sie in menschlicher Sprache anredete.
Was ihn wieder zu seinem ursprünglichen Problem führte. Was war mit dem Ohrring geschehen? Hatte Finn ihm den entfernt? Wo war der jetzt?
Er wollte sich gerade mit seinen wiedererstarkten Denkfähigkeiten an dieser Frage abarbeiten, als Felina sich zu ihm beugte, um ihm über den Kopf zu streichen. Dabei rutschte ihr ein Anhänger aus dem Ausschnitt ihrer Bluse.
Nefer wollten fast die Augen aus dem Kopf springen.
Das Ankh! Hier war es gelandet!
Heiliger Sphinx und Mäusescheiß.
Aber möglicherweise wendete sich nun doch noch alles zum Besten.
21. Waschbären-Narreteien
Finn kämpfte mit seiner Fassung.
Seit drei Tagen kämpfte er unablässig darum, irgendeinen Sinn in dem Horrortrip zu finden, auf den man ihn geschickt hatte.
Erst hatte er feststellen müssen, dass er nicht mehr von menschlicher Gestalt war. Seine Hände waren Pfoten, seine Beine Hinterläufe, ein langer Schwanz zuckte und peitschte hinten an seinem anderen Ende, und überall war Fell. Seine Kleider waren irgendwo im Nirwana verschwunden. Sein rechtes Ohr schmerzte noch etwas.
Was war mit ihm geschehen?
In was für einem Film war er gelandet?
Nicht nur, dass er sich selbst nicht wiedererkannte, nein, auch die Gegend war ihm vollkommen fremd. Kein Wald, kein Hügelgrab, keine Fahrräder – was immer er jetzt mit so einem Gerät anfangen konnte. Und es war geradezu unheimlich still. Er sah sich um und fand sich auf einer kiesigen, mit Grasbüscheln bewachsenen Anhöhe, von der aus man über ein weites Tal blicken konnte. Wiesen mit üppigem Laubgehölz dazwischen lagen vor ihm, und sollten in dieser Welt die Himmelsrichtungen noch Gültigkeit haben, dann schimmerte im Süden davon das breite Band eines Flusses, hinter dem sich ein dichter Wald erstreckte. Im Osten, nahe bei, erhob sich ein Gebirge, das nach Süden hin immer mächtiger zu werden schien. Direkt neben ihm aber ragte eine Felsnadel empor, blankes, schroffes Gestein, das unangenehm bedrohlich wirkte.
Was jedoch vollkommen fehlte, waren Wege. Keine Straßen, keine Autobahnen, keine Schienenstränge, keine Hochspannungsleitungen – nichts. Auch keine Kondensstreifen am Himmel oder das leise Brummen von Flugzeugen. Was die unheimliche Ruhe erklärte.
Die Vögel allerdings waren sehr laut.
Wo war er nur gelandet? Und wieso? Mit diesen Problemen musste er sich jetzt wohl auseinandersetzen.
Finn hatte sich, nachdem er aus seiner vom Schock verursachten Bewusstlosigkeit aufgewacht war, bemüht, sich in seinem neuen Körper zurechtzufinden. Anfangs ein verzweifeltes Unterfangen, da er immer wieder versucht hatte, aufrecht zu gehen. Schließlich hatte er es drangegeben und die Bewegung auf vier Beinen improvisiert. Das ging schon besser.
Aber die darauf folgenden Wahrnehmungen hatten ihm eine neue Welle panischer Erkenntnisse beschert. Er mochte ja wie eine Katze aussehen, sich wie eine Katze
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