Jägermond Bd. 1 - Im Reich der Katzenkönigin
kaum sichtbarer Pfad öffnete sich vor ihr.
Das Ankh in ihrer Hand schien wärmer zu werden.
Nefer drehte sich um, und seine Augen leuchteten gespenstisch im Dämmer. Sie nickte ihm zu, obwohl sie sich beklommen fühlte. Dann folgte sie ihm.
Sie hatten sich in den vergangenen zwei Wochen gründlich vorbereitet und an alle möglichen Dinge gedacht, einschließlich der Tatsache, dass sie ihr Handy in ihrem Zimmer »vergessen« und einer Chat-Freundin einen Briefumschlag mit einer Ansichtskarte gesandt hatte, die sie in einigen Tagen an Iris abschicken sollte. Es war Feli nicht ganz wohl gewesen, die Scharade zu inszenieren, aber bevor ihre Tante eine Vermisstenanzeige aufgab, war es wohl besser, sie in, wenn auch falscher, Sicherheit zu wiegen. Immerhin hatte sie ihr mit großer Freude geholfen, eine ordentliche Wanderausrüstung zusammenzustellen. Feli hatte sogar daran gedacht, ein übergroßes Shirt und Bermudas für Finn mitzunehmen, weil der nichts anderes anzuziehen hatte als das, was er bei seinem Übergang am Körper getragen hatte. Der Rucksack war schwer geworden, zumal sie allerlei Energieriegel eingepackt hatte. Die Versorgungslage in Trefélin, so hatte Nefer ihr erklärt, war zwar hervorragend, aber vornehmlich auf Fleischfresser abgestimmt.
Die Grauen Wälder wirkten seltsam still und eintönig. Es fehlte das Blätterrauschen, es fehlte vor allem aber das Zwitschern der Vögel. Nur ihre Füße verursachten auf altem Laub und trockenen Zweigen ein leises Knistern. Weit sehen konnte sie auch nicht; es war, als habe sich eine Nebelwolke zwischen den Bäumen eingenistet, sodass man kaum ihre Kronen erkennen konnte. Dann und wann aber fühlte Feli mehr, als sie es sah, einige Gestalten zwischen den Bäumen lauern. Die Namenlosen, hatte Nefer erklärt. Verbannte, denen man die Identität genommen hatte, die hier ihre Verbrechen büßten. Sie hatte es als ziemlich milde Strafe angesehen, als er ihr davon erzählte. Selbst die schlimmsten Untaten wurden nur mit dem Entzug des Namens geahndet. Doch jetzt, in diesem schattenlosen, verschwommenen Einerlei der Grauen Wälder begann sie zu verstehen, dass dieser Dämmerzustand vor allem unerträglich langweilig sein musste.
Das Gelände senkte sich leicht, und der Pfad teilte sich. Nefer blieb stehen, dicht an ihr Bein gedrückt. Er hob die Nase, witterte, seine Barthaare sträubten sich. Dann sagte er: »Birrip« und wählte den rechten Weg.
Das Ankh wurde wärmer in Felis Hand.
Es gab etliche Pfade durch die Grauen Wälder, hatte Nefer ihr erklärt. Sehr alte Pfotenspuren, die offenbar nie überwucherten, aber zu Sackgassen wurden, weil die früheren Ausgänge versiegelt oder verschüttet waren. Oder sie führten zu Stellen in diesem zwielichtigen Bereich, die man besser nicht betreten sollte. Sümpfe gab es, Quellen, deren Wasser man besser nicht berührte, angeblich auch grausame Wächter, die unbefugt Eindringende verschwinden ließen. In der Vollmondnacht jedoch war es leicht, den direkten Weg zum Übergangsfelsen zu finden. Er zog die Wanderer, die einen Ring trugen, in die richtige Richtung. Und wer das Ankh bei sich hatte, würde sie immer finden.
Ein Rascheln schreckte sie beide auf.
»Kchch!«, fauchte Nefer. Felina blieb stehen.
Zwei Paar silbrig schimmernde Augen leuchteten links zwischen den Stämmen, zwei graue Schemen kamen näher, stellten sich drohend vor sie auf den Pfad.
Nefers Fell sträubte sich. Er gab eine grelle Beschimpfung von sich, die in ein schrilles Kreischen überging.
Die beiden großen Katzen zuckten zusammen, blieben aber auf dem Pfad.
Kaltes Entsetzen packte Feli – die Tiere waren so groß wie ausgewachsene Tiger, Nefer dagegen ein winziges, harmloses Hauskätzchen.
Er ging auf sie zu, zischend und fauchend.
Der eine wich zurück, der andere hob drohend die Tatze.
Nefer sprang.
Seine Kralle fetzte dem überraschten Kater über die Nase.
Er heulte auf.
Feli umklammerte das Ankh so fest, dass es ihr in die Hand schnitt. Aber als der Große zu einem neuen Angriff übergehen wollte, packte sie die Wut. Das war unfair. Ihren kleinen Nefer durfte der nicht verletzen. Sie fühlte die Hitze des Anhängers durch ihren ganzen Körper steigen und machte einen drohenden Schritt auf den Angreifer zu. Was sie ihm antun konnte, wusste sie nicht. Es schlich sich ein verrückter Gedanke durch ihren Kopf. Einen Tiger mit bloßen Händen erwürgen gehörte zwar nicht eben zu ihren Kernkompetenzen. Dennoch formte sich ihre Rechte
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