Jägermond Bd. 1 - Im Reich der Katzenkönigin
Erde, Seife, Gesas Clangeruch.
»Was fehlt ihr?«
»Keine Ahnung. Ich habe sie abgetastet. Keine Verletzungen, keine Schwellungen oder Verhärtungen. Abgemagert ist sie, aber auch Zähne und Zahnfleisch sind okay.«
»Gift?«
»Ihre Augen sind klar, Schmerzen scheint sie nicht zu haben. Aber sie frisst nicht.«
Iris’ Hand lag nun leicht in ihrem Nacken.
»Ein wunderschönes Tier. Eine ungewöhnliche Zeichnung. Ich habe noch nie eine getupfte Katze gesehen.«
»Agyptian Mau, sagten sie mir im Tierheim. Dort habe ich sie nämlich schon einmal abgegeben, weil ich sie für eine entlaufene Hauskatze hielt. Aber von dort ist sie ausgebüxt.«
»Und wieder zu Ihnen gekommen? Erstaunlich.«
»Ja, das dachte ich auch. Und dann verschwand sie vor drei Tagen.«
»Vollmond!«
»Ja. Aber es muss etwas passiert sein, dass sie so ungewöhnlich apathisch ist.«
Iris’ Hand kraulte ihren Nacken. Majestät legte das Kinn zwischen die ausgestreckten Pfoten und schloss die Augen. Eigentlich hätte sich ein Schnurren bilden müssen, aber auch das wollte sich nicht einstellen.
»Mit welchem Namen rufen Sie sie?«
»Mit keinem. Sie hat ihn mir nicht genannt.«
»Und es hat sich niemand nach ihr erkundigt?«
»Im Tierheim? Nein. Es hat mich gewundert.«
»Mich nicht. Nathan – meine Mutter hatte eine Katze, zu der sie ein höchst inniges Verhältnis pflegte. Ich fand es immer etwas überzogen, aber, nun ja, so war sie eben. Melle starb vor einem guten halben Jahr im gesegneten Katzenalter von zwanzig Jahren. Und meine Mutter hat sich seit jenem Zeitpunkt immer mehr in sich zurückgezogen. Vor zwei Monaten starb sie an einer unerklärlichen Herzschwäche. Ich habe viel darüber nachgedacht, Nathan, und inzwischen glaube ich Feli, dass es Trauer war, eine weit größere Trauer, als sie uns zeigen wollte.«
»Sie meinen, diese Katze trauert auch?«
»Was wäre, wenn ihr Mensch gestorben ist und sie das Haus verlassen hat?«
»Dann würde sich niemand nach der herrenlosen Katze erkundigen, so edel sie auch sein mag. Da haben Sie recht, Iris.«
»Tiere können auch trauern.«
»Ich weiß.«
»Und, Nathan, wenn einer ihr helfen kann, dann Sie. Nicht wahr?«
»Glauben Sie?«
»Nathan Walker, auf ihren Reisen begegnen, so sagt man, den Schamanen oft Tiere, die sie führen und anleiten.«
Majestät blinzelte.
Nathan lächelte.
Dann sagte er: »Erzählen Sie mir von Ihren neuen Ideen für die Wandergruppen, Iris.«
Was diese dann tat und schließlich verschwand.
Es war dunkel geworden, doch die Nacht war noch immer warm. Nathan hatte einen dicken Pullover angezogen und beugte sich zu ihr.
»Wollen wir auf eine Reise gehen?«
Majestät kam langsam auf die Beine. Vielleicht. Vielleicht war es eine Möglichkeit.
Sie wurde wieder aufgehoben und nach draußen auf die Terrasse getragen. Nathan setzte sich auf den Liegestuhl, und sie ließ sich auf seiner Brust nieder.
Wieder summte und brummte er eine langsame Melodie, und ihr Kopf wurde schwer und schwerer. Ihr Geist aber öffnete sich, und diesmal war es völlig anders als das, was sie in seinen Träumen gesehen hatte.
Er trat auf einer Lichtung. Nicht in Trefélin, nicht in diesem Wald. Ein ebenmäßiges, moosbewachsenes Rund von blühenden Büschen gesäumt. Vier mächtige alte Bäume ragten über dem Unterholz auf. Vor ihr wisperte der Wind in den Blättern der weißstämmigen Birke, rechts von ihr verströmte eine Kiefer ihren harzigen Duft. Als sie sich umwandte, blickte sie in schwankende Weidenäste, die in ein klares Gewässer reichten, und den Kreis schloss eine knorrige Eibe, deren mächtiger Stamm voller Höhlen war.
Ruhig wartete Nathan in diesem Geviert, wartete auf den Ruf.
Majestät wartete mit ihm.
Und dann wisperten die Zweige der Weide.
»Shaman!«
Er wandte sich dem biegsamen Geäst zu.
»Shaman!«
Er trat an das Gewässer.
»Shaman!«
Bog die Zweige auseinander und schaute auf einen See.
Majestät hielt den Atem an. Nur die flüsternde Stimme war zu hören.
»Majestät!«
Der Himmel verdunkelte sich, es wurde Nacht, und die Sterne blitzten in der spiegelnden Oberfläche des Wassers. Dann verdichtete sich ihr Glanz, wurde hinabgezogen in die Tiefe, strudelte umeinander und formte sich.
Formte sich zu seinem silbernen Schein.
Formte sich zu – einem Ankh.
Dem Ankh.
Erleichterung schlug wie eine Welle über Majestät zusammen.
Das Ankh im Lind Siron.
Es war zurückgekehrt in ihr Land.
Noch leuchtete es, wurde blasser,
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