Jägermond Bd. 2 - Im Auftrag der Katzenkönigin
das unterschiedliche Kribbeln in ihren Pfoten, genauer zwischen ihren Ballen, zu unterscheiden. Allmählich verstand sie, auf was ihr Lehrer hinauswollte. Am Roc’h Uhel kreiselte die Strömung wie um einen Mittelpunkt, der nach unten sog. An anderen Stellen verlief sie gerade, in Biegungen oder verschwand auch einfach. Dann mussten sie eine neue Spur suchen. Einmal erschreckte sie ein Adler, der kurz vor ihr vom Himmel stürzte und seine Klauen in eine Schlange schlug. Mit einem heftigen Schnabelhacken tötete er das Reptil. Dann stieg er mit einem wilden Schrei wieder auf. Andere Schreie antworteten ihm.
»Folgen wir der Fährte der Schlange«, schlug Feli vor.
»Besser nicht.«
»Sie muss aber doch irgendwo hergekommen sein, Amenti. Wir können nicht tagelang kreuz und quer wandern.«
»Wir machen es auf meine Weise.«
»Oookay.«
Amenti war gründlich, vielleicht zu gründlich, dachte Feli. Bedächtig folgte er jeder Erdströmung, die er auffand, bis zu ihrem Verschwinden. Sie aber überlegte in eine andere Richtung. Die Adler, sie untersuchten das Land mit ihren scharfen Augen und erkannten die Schlangen auch aus großer Höhe. Wo kreisten sie besonders häufig? Wo stießen sie oft nieder?
Während Amenti sich langsam voranarbeitete, blickte Feli nach oben. Im Westen, wo der Mittelgrat aufstieg, waren nur vereinzelt Vögel in der Luft, vor allem jene, die dort lebten und jagten. Im Süden, wo die Witterlande zum Land Wolkenschau übergingen, hielten sie sich gar nicht auf, wohl aber an der Grenze zum Kratzforst. Hauptsächlich aber kreisten sie östlich von ihnen.
»Was befindet sich dahinten?«, fragte sie einen der Grenzwächter, der auf den Namen Ramses hörte.
»Eibental. Ein düsterer Flecken.«
»Hat er eine besondere Bedeutung?«
Amenti kam hinzu.
»Manche Bäume können Gedanken verwirren, heißt es. Oder bedrohliche Träume schenken. Eiben sind nicht ungefährlich.«
Feli dachte an den Baumkreis, den sie und Che-Nupet teilten. Ja, Bäume hatte wohl so ihre eigene Macht.
»Unsere Weisen besuchen das Eibental, wenn sie Rat suchen«, ergänzte Ramses. »Sarapis ist früher oft dort gewesen. Aber was sie bewirken, weiß ich nicht.«
»Ich werde auf gar keinen Fall dort hingehen«, sagte sein Begleiter.
»Mhm. Ich schon«, meinte Feli und beobachtete einen weiteren Adler, der auf seine Beute niederstieß.
»Das wirst du besser nicht tun«, mahnte Amenti sie.
Aber es zog sie dorthin, und während Amenti weiter seinen Untersuchungen folgte, wanderte sie mehr und mehr in die Richtung des Tales. Ramses begleitete sie schweigend. Immer wieder aber achtete sie auf ihre Schritte, folgte den ausgetretenen Pfaden, nicht den unsichtbaren Strömen. Schlangen griffen nur an, wenn sie gestört wurden, so viel wusste sie. Oft drehte sie sich um, um sich zu vergewissern, dass sie Amenti noch sehen konnte. Auch er bewegte sich langsam auf den Eibenhain zu, wenn auch auf anderen Wegen.
Die Sonne neigte sich gen Westen, als sie das Tal erreicht hatte und vor den mächtigen Bäumen stand, die hier seit Jahrhunderten wuchsen. Eiben konnten uralt werden, ihre Stämme wiesen Höhlen auf, und ihr Wurzelgeflecht bedeckte den Boden wie ein graues Netzwerk. Fasziniert stand Feli davor.
»Man sagt, dass sie giftig seien«, mahnte Ramses.
»Ja, das sind sie. Man darf nichts davon essen.«
»Willst du wirklich hierbleiben?«
Es drängte sie dazu, zwischen den Bäumen hindurch in das Innere des Hains zu schlüpfen. Aber ihr Verstand ermahnte sie, sich nicht in Gefahr zu begeben. Was, wenn hier die Stelle war, aus der die Schlangen hervorkrochen?
»Ich umrunde es einmal«, beschloss sie schließlich.
Ramses schloss sich ihr an, immer wieder witternd und sich umschauend.
Dann fand sie den Einschlupf. Vergessen war alle Vorsicht, Pfote vor Pfote setzend schlich sie sich näher, fand den Weg zwischen den wuchtigen Stämmen und folgte ihm trotz Ramses’ Mahnung. Es war dunkel unter dem Geäst, trockene Nadeln bedeckten den Boden. Felis Katzenaugen aber durchdrangen die Dunkelheit, und schließlich traf sie auf den gewaltigen, hohlen Stamm jenes Baumes, der den Mittelpunkt des Hains auszumachen schien. Sie schnüffelte und flehmte, lauschte und tastete. Ja, der Ohrring sirrte, doch ihre Pfoten ertasteten keine Ströme. Dennoch war die Atmosphäre seltsam, irgendwie verschob sich ihre Sicht, und leicht schwankend legte sie sich nieder. Müdigkeit überkam sie, deckte sie zu wie eine warme Wolke, hüllte sie ein und
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