Jagd auf Jesse James
Sweetheart. Also: Wie viel brauchst du?«
»Um Himmels willen!«, ereiferte sich Uncle Tom. »Jona würde sofort was merken, wenn ich auf einmal einen Haufen Dollars aus dem Hut zaubere!« Er räusperte sich vernehmlich. »Spätestens morgen Mittag sind wir auf der Bahnstation. Dort haben sie einen heißen Draht. Unser Nesthäkchen kann sich mit ihrem Vater in Verbindung setzen. Ihr stinkreicher Daddy überweist den Zaster, und wir sind aus dem Gröbsten raus. Wir greifen uns ein Pullmanabteil und zuckeln ganz gemütlich nach Kansas City. Dort liefere ich Jona ab, und die Sache ist vom Tisch.«
Jeder Satz, den ihre angeblichen Gefährten sprachen, war wie ein Keulenschlag für Jona.
Sie rang krampfhaft um Fassung. Bis zu diesem Augenblick hatte sie geglaubt, Calamity Jane und den Jungs aus Baxter’s Hole vertrauen zu können.
Aber die verräterische Bande hatte ein Komplott gegen sie ausgeheckt. Mit ganz üblen Tricks hatten sie sie hinters Licht geführt. Uncle Toms Plan, sie ohne Wissen der anderen nach St. Joseph zu bringen, der Überfall auf das Gespann, alles abgekartetes Spiel. Wahrscheinlich hatte sich Calamity Jane diese List ausgedacht. Und Uncle Tom hatte nie vorgehabt, sie nach St. Joseph zu bringen.
Jona war zum Heulen zumute. Sie fühlte sich wie eine Schiffbrüchige, die an den Strand einer einsamen Insel am Ende der Welt gespült worden war. Alle hatten ihr etwas vorgegaukelt und hinter ihrem Rücken heimlich über sie gelacht. Verdammt! Calamity Jane und Uncle Tom waren kein Deut besser als dieser arrogante Mr. Henry aus dem Zugrestaurant. Bei dem Lackaffen wusste man wenigstens noch, woran man war.
Noch nie hatte Jona ihren Bräutigam Tim Brandon so vermisst wie in diesem Augenblick.
Sie machte sich bittere Vorwürfe. Hätte sie damals auf ihr Engagement in Texas verzichtet, wäre er nicht auf diese Ranch nach Montana gegangen. Ohne ihren Sturkopf wären sie wahrscheinlich heute ein glückliches Paar gewesen. Am liebsten hätte sie die Uhr um ein volles Jahr zurückgedreht.
Hätte, wäre, könnte …
Heiße Tränen kullerten ihr über die Wangen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wieder halbwegs klar denken konnte. Zuallererst musste sie weg von diesen schamlosen Menschen, die sich am Lagerfeuer über sie lustig machten. Sie konnte den Anblick dieser Verräter nicht mehr ertragen.
Sie würde es auch ohne fremde Hilfe schaffen.
Ich werd’s euch zeigen , sagte sie sich, euch allen werde ich’s zeigen!
Langsam bewegte sich Jona durch das Gras auf den Ausgang des Canyons zu. Sie ging nicht zurück zu ihrem Nachtlager. Aufs Geratewohl schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein, direkt auf den Missouri zu. Am Fluss entlang würde sie bald nach St. Joseph gelangen.
Irgendwie würde es ihr schon gelingen, einen Saloonbesitzer von ihrer Tanzkunst zu überzeugen, auch ohne standesgemäße Kleidung. Sobald sie wieder Boden unter den Füßen hatte, würde sie ihre Jagd auf Jesse James fortsetzen.
Die Wut in ihrem Bauch verlieh ihr einen neuen Kraftschub. Unermüdlich schritt sie voran, Yard um Yard, Meile um Meile, die ganze Nacht lang.
Als der Morgen graute, hörte Jona Wasserrauschen, gar nicht so weit entfernt. Sie hatte den Missouri River erreicht. Noch einmal forcierte sie ihr Tempo.
Sie kam an eine Erdmulde, kletterte auf einen Findling und stellte sich auf die Zehenspitzen. Ausgelaugt, aber glücklich erspähte sie den verschlammten Fluss.
»Hallo, Big Muddy«, keuchte sie. »Bei Gott, jetzt ist es nicht mehr weit.«
Dann, ganz plötzlich, geriet sie ins Rutschen.
Sie schrie, als sie kopfüber in die Mulde stürzte …
Nur wenige Meilen entfernt entfachte die Comanchin Pohawe ein kleines Feuer am Ufer des Missouri, setzte sich mit gekreuzten Beinen auf eine verkrautete Grasnarbe und blickte schmaläugig über die gekräuselte Wasseroberfläche. Von Zeit zu Zeit fuhr sie sich behutsam über den Bauch, in dem bald das Kind ihres Favoriten heranwachsen würde.
Leider war es noch nicht so weit. Die erste Zusammenkunft mit Lassiter hatte nicht gefruchtet. Doch mit Hilfe der allmächtigen Geister würde sie ihr Ziel erreichen. Davon war sie felsenfest überzeugt.
Zuallererst musste sie aber den großen, starken Mann mit dem sandfarbenen Haar und den freundlich dreinblickenden, grauen Augen ausfindig machen.
Der erste Versuch, ihn zu finden, war ein herber Rückschlag gewesen.
Die Bleichgesichter aus St. Joseph hatten sich nicht gerade als Freunde der roten Rasse gezeigt. Bis
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