Jagd auf Mrs. Pollifax
entkommen, oder ob die Polizei vor der Durchsage mit so etwas gerechnet und Vorkehrungen getroffen hatte. Jedenfalls hatte sich die Schlangenfrau ein Sternchen neben ihrem Namen auf der Liste verdient. Da ein Interview mit ihr nicht mehr möglich war, machte sich Mrs. Pollifax auf die Suche nach dem Glücksrad und fragte sich, ob Lubo, sein Konzessionär, sich ebenfalls ein Sternchen verdienen oder sie seinen Namen nur abhaken würde.
12
Während Mrs. Pollifax zwischen den Buden dahinschlenderte, bemerkte sie, daß Willie neben dem Transformator streng mit Boozy Tim redete. Als sie kurz darauf über die Schulter blickte, sah sie die beiden Männer in Willies Wagen verschwinden. Weitere Buden - oder Joints, wie Willie sie nannte - hatten im Lauf des Nachmittags aufgemacht. Der Mann, der sein Schild mit Farbe und Pinsel verschönert hatte, stieg soeben von seiner Leiter. Mit Erleichterung stellte sie fest, daß Lubos Glücksrad, ein Stück weiter, bereits geöffnet hatte. Der Stand war kaum zu übersehen. Ein schreiendes Band lud ein: DREHEN SIE DEN PFEIL! WERTVOLLE PREISE! Und mit etwas kleinerer Schrift, aber in nicht weniger schreienden Farben: FERNSEHER ZU GEWINNEN! VIDEORECORDER! UND VIELES ANDERE!
Der Mann in der Bude paßte nicht so recht zu diesen schreienden Ankündigungen. Mrs. Pollifax schätzte ihn auf etwas über Dreißig, und er hatte ein Gesicht so ruhig wie stilles Wasser. Nicht ausdruckslos, fand sie, aber zurückhaltend und wachsam. Seine dunklen Augen, die sich bei ihrem Näherkommen hoben, blickten sie so durchdringend an, daß sie fast etwas wie einen elektrischen Schlag auslösten. Sie spürte, daß sie abgeschätzt wurde, analysiert, ja fast seziert und kategorisiert, und all das mit einer beinahe unerträglichen Ruhe. Ob das die Augen eines Mephistopheles, eines Mystikers oder eines Mörders waren?
»Sie müssen Lubo sein«, sagte sie trotzdem betont heiter. »Willie hat mir gestattet, mich ein paar Tage auf dem Rummel aufzuhalten. Ich mache ein Feuilleton für meine Zeitung.«
»Welche Zeitung?« fragte er scharf.
»Portland Gazette«, antwortete sie prompt.
»Nie davon gehört.«
Genausowenig wie sie, aber um seiner kurz angebundenen
Art nicht nachzustehen, behauptete sie ebenso kurz und bündig: »Ist neu!«
Ein dünnes Lächeln verzog flüchtig seine Mundwinkel. Sie bezweifelte, daß er ihr glaubte. »Und?«
Mit dem Notizblock in der Hand sagte sie: »Und ich möchte Sie fragen, wie lange Sie schon für den Rummel arbeiten, Mr. Lubo, und ob immer mit dem Glücksrad. Und ob Ihnen dieses Leben gefällt.«
Er zuckte die Schultern. »Weiß ich noch nicht.«
»So neu?«
»So neu.«
Sie lächelte höflich. »Aus welchem Grund haben Sie sich Willies Wandershow angeschlossen?«
»Brauchte Arbeit.« Seine Augen musterten sie erneut so durchdringend, daß ihr ein kalter Schauder über den Rücken rann.
Sie kritzelte ein paar Worte und nickte. »Interessant. Darf ich fragen, welchen Beruf Sie zuvor ausübten?«
»Nein«, antwortete er ausdruckslos.
»Ich könnte nicht behaupten, daß ich von Ihnen Feuilletonmaterial bekomme.« Dann fügte sie mit einem freundlichen Lächeln hinzu. »Sie sind nicht gerade entgegenkommend, nicht wahr?«
»Nein.«
»Trotzdem vielen Dank.« Sie nickte und ging, ohne aufzuhören, in ihren Block zu kritzeln. Jetzt fügte sie hinzu: Lubo, kultivierte Sprache, intelligent, teure Rolexuhr, neu beim Rummel, nicht direkt feindselig, aber keineswegs mitteilsam oder freundlich. Augen, die einem angst machen können. Die Wurfbude war noch geschlossen. Als sie zu ihrem Wohnwagen zurückkehrte, sah sie, daß der lange braune Wohnwagen der Schlangenfrau wieder auf seinem alten Platz stand, offenbar unerbittlich von der Polizei zurückgeleitet. Die roten Vorhänge waren dicht zugezogen, als wollten sie die Welt ausschließen. Kein gerade günstiger Augenblick für ein Interview, sagte sich Mrs. Pollifax und ging zu dem Wohnwagen weiter, den sie sich mit Kadi teilte. Kadi saß auf ihrer Pritsche und zog soeben die schwarzen Strümpfe und Schuhe für die Achtzehn-UhrVorstellung an. »Sie drücken«, erklärte sie, als sie ein paar Schritte in den neuen Schuhen machte. »Aber sind sie nicht hübsch?«
»Ja«, bestätigte Mrs. Pollifax, »und Sie brauchen in den Schuhen ja keine langen Spaziergänge zu machen. Haben Sie noch ein paar Skizzen gezeichnet? Ich habe überlegt, ob Sie sich gut genug an Sammys angeblichen Zimmerkameraden erinnern, daß Sie ihn für mich zeichnen
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