Jagd auf Mrs. Pollifax
könnten? Und Sammy ebenfalls.«
Kadi lächelte. »Sammy brauche ich nicht zu zeichnen. Ich habe ein Bild von ihm.« Sie griff in ihren Rucksack, holte eine Geldbörse heraus und entnahm ihr ein Foto. Es war ein Gruppenschnappschuß, in glühender Sonne aufgenommen: drei schwarze und drei weiße Gesichter. Kadi deutete darauf: Das ist mein Vater, das meine Mutter, dann die Oberschwester Rakia und Tiamoko, Dads Assistent - und ich -, und das, ganz hinten, ist Sammy.« Offenbar war das Foto schon mehrere Jahre alt. Kadi sah aus wie vierzehn, höchstens fünfzehn, und geradezu winzig neben Sammy, der ein stämmiger und gutaussehender Teenager mit breitem Lächeln war. Aber mehr interessierten sie momentan Kadis Eltern.
Sie standen vor einem blendendweißen Betonblock mit einem Schild, auf dem MAN-KHWALA NJUMBA stand: »Was heißt das?« Sie deutete.
»Medizinhaus.«
»Warum wurden sie erschossen, Kadi?« fragte Mrs. Pollifax behutsam.
Mit völlig ausdruckslosem Gesicht antwortete das Mädchen: »Weil jemand sie verraten hatte. Sie wurden beschuldigt, den Dissidenten zu helfen. Man hat sie erschossen, weil sie angeblich Spione gewesen waren.«
Ja, sie waren der Typ, der anderen half, fand Mrs. Pollifax, als sie die beiden eingehend betrachtete. Mrs. Hopkirk mit ihrem klaren, ausdrucksstarken Gesicht. Dr. Hopkirk, hoch aufgerichtet, reserviert, mit den gleichen Augen und Brauen, wie auch Kadi sie hatte. So wie die beiden aussahen, hatten sie sich nie nach einem leichten Leben gesehnt oder es sich selbst leichtgemacht. Und jetzt mußte Kadi geschützt werden.
Als sie die Fotografie zurückgab, fiel ihr auf, daß Kadi das Bild nicht ansah - es vielleicht nicht wagte. »Danke«, sagte sie mit einem Lächeln. »Und jetzt dürfte es doch wirklich Zeit für ein frühes Abendessen sein, meinen sie nicht. Ich werde jedenfalls einen dieser ›größten Hotdogs in den USA‹ versuchen. Was ist mit Ihnen?«
»O ja!« rief Kadi, und sie gingen wie zwei langjährige Freundinnen zum Küchenzelt.
Um achtzehn Uhr stand Mrs. Pollifax auf dem Feld vor dem Eingang und sah zu, wie der Rummel zu lautem Leben erwachte. Über der Kasse verkündete eine riesige Leuchtschrift: WILLIES WANDER-UND WUNDERSHOW SPIEL, SPASS UND SENSATIONEN! Hinter ihr füllte sich das Feld mit Autos aller Art, und Leute Städter nannten die Rummelleute sie - drängten sich ins Zelt und hatten für diesen Abend einmal ihre Fernseher und Videorecorder verlassen, um Unterhaltung live zu genießen. Auf der kleinen erhöhten Bühne neben dem Eingang brüllte der Ausrufer: »Hallo, hallo, hallo das wird ein Abend voller Aufregungen und Sensationen. Zwei bildschöne Mädchen direkt aus Paris erfreuen Sie mit dem Tanz der sieben Schleier - Sie werden aus dem Staunen nicht herauskommen. Und Elda, die Schlangenfrau, mit ihren zehn lebenden, gefährlichen Schlangen, wie Sie sie sonst nirgendwo, nur hier bei Willies, sehen können! Und lassen Sie sich Jasna, die Messerwerferin nicht entgehen - vielleicht trifft sie heute abend daneben - wer weiß, meine Damen und Herren!« Seine dröhnende Stimme wurde von anderen übertönt, als Mrs. Pollifax an der Kasse verkündete, daß sie »dazugehöre«, und sich dann ins Gedränge warf, gewappnet gegen den marktschreierischen Lärm, der von allen Seiten auf sie einstürmte und versprach, den Rummel zu einem erregenden Abenteuer zu machen. Das Riesenrad drehte sich bereits, die Leierkastenmusik des Karussells erinnerte an vergangene Zeiten, und aus den Buden überboten sich die Verlockungen in wachsender Lautstärke. »He, Mister! He, schöne Frau! He, Großer! Kommen Sie näher! Versuchen Sie Ihr Glück! Frische Zuckerwatte!«
Und irgendwo unter diesen Leuten, erinnerte sie sich, befand sich ein Mörder, außer, Laszlos Angreifer war von außerhalb gekommen, hatte geschickt eine Menge angelockt und sich sofort nach dem Anschlag aus dem Staub gemacht. Es wäre möglich, mußte sie eingestehen. Aber bei so vielen beschäftigten Rummelleuten durfte mehr als nur ein Besuch erforderlich gewesen sein, diesen Laszlo zu finden, der ohne Aufhebens Karten am Karussell kontrolliert hatte. Willie, dem sie am Spätnachmittag zwischen den Ständen begegnet war, hatte ihr mitgeteilt, daß die Polizei bereits alle drei Motels in dieser Gegend überprüft und einen Vertreter gefunden hatte, dessen Alibi jedoch wasserdicht gewesen war. Drei Familien mit kleinen Kindern kamen als Verdächtige wohl ebenfalls nicht in Frage. In diesen Kleinstädten fielen
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