Jagd auf Mrs. Pollifax
Blick auf ihr Gesicht eilte Kadi zu den beiden Männern und kehrte mit ihnen zurück. »Sie waren noch nicht im Wagen?« fragte Mrs. Pollifax. »Ich halte es für äußerst dringend!«
»Ich hol den Dietrich«, versprach Willie. »Nein - brechen Sie die Tür auf! Sofort!«
» Die Tür aufbrechen - warum denn?«
»Ich weiß es nicht «, rief sie frustriert. »Es ist nur so ein Gefühl. Bitte!«
Die Tür widersetzte sich, ehe sie zersplitternd nachgab. Auf Boozy Tims Eßtisch befanden sich eine offene Dose mit weißer Farbe, Körperpuder, ein Klecks Ketchup, ein Pinsel, zwei dunkle, falsche Vollbärte, einer davon zur Hälfte weiß gefärbt, der andere reinweiß mit Körperpuder rundum, als wäre die ganze Dose darauf geleert worden. Um das zu kaufen, ist er also in die Stadt marschiert, dachte Mrs. Pollifax. Boozy Tim hatte Angst gehabt, weil sein Verdacht stimmen könnte, aber da er an sich zweifelte, hatte er unbedingt sichergehen wollen.
»Das ist nicht Ketchup, das ist Blut«, rief Kadi, die sich über den roten Klecks beugte. Erschrocken starrten sie auf den roten
Fleck.
»Dann kann es nur gestern nacht passiert sein«, sagte Willie.
»Er hatte Licht an, und jemand muß ihn durchs Fenster
beobachtet haben ...«
»... und hat ihn daran gehindert, weiterzumachen«, beendete
Bix den Satz für ihn.
»O Gott!« wisperte Kadi.
Benommen murmelte Mrs. Pollifax: »Aber es gibt hier im
ganzen Rummel nur einen mit Vollbart!«
»Das stimmt!« keuchte Kadi. »Das stimmt. Sie hat recht!« Nach einem Blick auf seine Armbanduhr sagte Willie
grimmig: »Es ist jetzt vierzehn Uhr drei, der Rummel ist
geöffnet. Und bei den Nachmittagsshows verlaufen die
Nummern in umgekehrter Reihenfolge.«
Sie starrten einander bestürzt an, dann schrie Willie: »Lauft
schon los! Und Bix, fordern Sie Verstärkung an!«
Für das Zehn-in-Einem erwies sich der Nachmittag als sehr
einträglich. Die Plätze waren alle besetzt, die Schlangenfrau
beendete eben ihren Auftritt. Jasna löste sie auf der Bühne ab.
Silberglitzernd in einem mit Münzen behangenen Trikot,
hochgewachsen und vö llig ruhig, schlenderte sie gleichmutig
auf die Bühne. Nach einer knappen Verbeugung zu den
Zuschauern legte sie ihre Schatulle mit den Messern auf einen
hohen Hocker, öffnete sie, und nun glitzerten auch die Klingen
in dem grellen Scheinwerferlicht. Das Publikum verstummte
und beobachtete sie gespannt. Sie wählte ein Messer aus und
deutete auf den Vorhang, der sich nun langsam hob und die
Holzwand freigab, an der ihr Vater lehnte, doch an diesem
Nachmittag in einem völlig anderen Kostüm: einer
bodenlangen schwarzen Robe mit Kapuze, die tief ins Gesicht,
gezogen war und den größten Teil davon verbarg.
Nur daß diese Gestalt kleiner war als Jasnas Vater, nicht stolz aufrechtstand, sondern zusammengesackt war und der Kopf fast auf der Brust ruhte - und keinen Bart hatte. »Es ist Boozy Tim!« krächzte Mrs. Pollifax. »Willie - Kadi - das dort oben ist Boozy Tim! Sie will ihn töten und dann behaupten, es
sei ein Unfall gewesen!«
»Nicht in meinem Rummel!« Willie kniff grimmig die
Augen zusammen. »Wir haben etwa eine Minute. Sie wird es
nicht wagen, ihn gleich beim ersten Wurf tödlich zu treffen.
Vermutlich beim zweiten oder dritten. Aber wir dürfen sie
nicht in die Enge treiben, denn wenn sie unsere Absicht
erkennt, wird sie ihn sofort umbringen.«
Verzweifelt sagte Mrs. Pollifax: »Ich bin zwar ziemlich gut
in Karate, aber ich kann unmöglich nahe genug an sie
herankommen.«
»Und ich hab zwar eine Pistole«, sagte Willie wütend, »aber
aus dieser Entfernung - so gut kann ich nicht schießen.« »Geben Sie Kadi die Pistole«, rief Mrs. Pollifax rasch.
»Kadi, sie kennt Sie nicht. Gehen Sie rasch zur anderen Seite
der Tribüne und beten Sie, daß sie ihr das Messer...« Sie zuckte
zusammen, als Jasna zielte, das erste Messer warf und die
Zuschauer den Mund aufrissen, als es dicht neben Boozy Tims
linker Schulter in der Wurfwand steckenblieb. »... aus der
Hand schießen können. Beeilen Sie sich!« Willie hatte ihr
bereits die kleine Pistole gegeben. Kadi schob sie unter den
Gürtel und verschwand hinter den Sitzreihen. Mrs. Pollifax
schritt langsam den Gang entlang, als suche sie einen Sitzplatz,
während ihre Gedanken sich mit Karateschlägen befaßten, die
jedoch hier unmöglich waren, solange Jasna sich auf einer über
einen Meter hohen Bühne befand und viel zu weit vom Rand
entfernt, als daß sie auch nur ihre Fußgelenke treffen könnte.
Ihr war
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