Jagd in der Tiefsee (Cryptos)
manipuliert, dass man die Luke von innen schließen und öffnen konnte. Der Container war das ideale Versteck. Mit seinen widerlichen Gerüchen und dem Dröhnen der Schiffsmaschinen war der Frachtraum zwar nicht gerade der angenehmste Aufenthaltsort, aber trotzdem weit bequemer als viele andere Orte, an denen Butch McCall im Laufe seines abenteuerlichen Lebens schon geschlafen hatte.
Seit er sich an Bord geschlichen hatte, hatte er zwei heimliche Ausflüge an Deck unternommen, das eine Mal, um sich ein paar Kisten mit Fleisch- und Bohnenbüchsen zu besorgen, das andere Mal, um den Gizmo entgegenzunehmen, den einer von Blackwoods Spionen gestohlen hatte. Den brauchte er, um Wolfe und die Kinder im Auge zu behalten – die einzigen Personen an Bord, die ihn theoretisch erkennen konnten, falls sie ihn zu Gesicht bekamen. Obwohl er bezweifelte, dass sie ihn tatsächlich wiedererkennen würden. Der beschwerliche Fußmarsch aus den Tiefen des Kongos zurück in die Zivilisation hatte ihn mindestens fünfundzwanzig Kilo seines Körpergewichts gekostet. Unter normalen Umständen hätte er dieses Gewicht schnell wieder auf die Rippen bekommen, doch Noah hatte ihm gesagt: »Butch, du bist zwar nur noch ein Schatten deiner selbst, aber genau in diesem Zustand brauche ich dich.«
Und als Butch schließlich auch noch ohne Schnauzbart aus Noahs Badezimmer getreten war, hatte dieser gerufen: »Mensch, du hast ja Zähne!« Dann hatte Noah ihn zu seinem persönlichen Maskenbildner gebracht, der die Typveränderung mit einer braunen Perücke und einer Brille abgerundet hatte.
Als Butch schließlich in den Spiegel geschaut hatte, hätte er den Mann, der ihm da entgegenstarrte, fast selbst nicht erkannt.
»Gegen die Tattoos und die vielen Muskeln können wir so schnell natürlich nichts unternehmen«, hatte der Visagist gesagt und auf Butchs enorme Bizepse gedeutet. »Die sind verräterisch. Die werden Sie mit langen schlabberigen Ärmeln kaschieren müssen.«
Bei seinen Ausflügen an Deck hatte Butch auf die Schnelle keine Überwachungskameras entdeckt, aber das musste nichts heißen. Er wusste inzwischen, dass Noah Blackwood Recht gehabt hatte und dass Alf Ikes ein ausgefuchster ehemaliger CIA-Agent war. Das ging eindeutig aus Ikes’ Dossier hervor, das Blackwood ihm vor seinem Abflug aus Seattle im Computer gezeigt hatte. Und auf Blackwoods Personenarchiv war Verlass, das war größer und genauer als das des FBIs.
»Ganze zwanzig Jahre war er beim Geheimdienst«, hatte Noah gesagt, »als Sicherheits- und Überwachungsspezialist. Du wirst dich in Acht nehmen müssen. Dieser Ikes wird vermutlich Kameras auf dem ganzen Schiff verteilen, aber natürlich kann auch er nicht die gesamte Crew rund um die Uhr im Auge behalten. Während deines Umstylings habe ich einen Anruf bekommen. Demnach hat Ikes nur zwei seiner Leute mit an Bord genommen. Die anderen hat er auf Cryptos zurückgelassen, damit sie die Insel bewachen. Du weißt also, was du zu tun hast.«
Butch wusste genau, was er zu tun hatte. Er würde tagsüber, wenn die Crewmitglieder an Bord herumliefen, ebenfalls umherstreifen. In dem allgemeinen Gewusel würde er gar nicht weiter auffallen. Er hatte einen Laborkittel und ein Klemmbrett entwendet und würde in die Rolle des Forschers schlüpfen. Gelehrt genug sah er mit seinem neuen Look allemal aus. Nachts würde er dann in den Frachtraum zurückkehren und im Container schlafen.
Zu seiner großen Überraschung brachte ihm dieser Container eine längst vergessen geglaubte Erinnerung zurück – die Erinnerung an eine Hundehütte, die er als kleiner Junge aus einem Abwassertank für seinen Pitbull Dirk gebaut hatte, nachdem dieser gleich zwei hölzerne Hundehütten zerlegt hatte.
Es war Dirk gewesen, der Butch das Jagen beigebracht hatte. Der kleine Butch war damals aus dem Fenster seines Kinderzimmers geklettert und hatte zusammen mit Dirk den Nachbarskatzen aufgelauert. Die Katzen waren gar nicht so leicht zu erlegen gewesen, aber gegen den Pitbull hatten sie natürlich keine Chance. Und auch gegen Butch nicht, nachdem dieser gelernt hatte ihnen mit seiner Luftpistole aus fünfzehn Metern Entfernung ins Auge zu schießen.
Wenn Butchs Eltern besoffen waren und sich prügelten, was nicht selten vorkam, schlief ihr Sohn manchmal in Dirks Abwassertank auf dem Hinterhof. Zwar hatte Dirk einen furchtbaren Mundgeruch und schnarchte wie ein Walross, aber es war allemal besser, als im Haus zu schlafen und mitzukriegen, wie die
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