Jagd in der Tiefsee (Cryptos)
wir darauf nicht viel erkennen können. Das Licht und der Winkel waren zu schlecht.«
Wolfe tippte etwas auf seiner Tastatur ein, woraufhin der Monitor eine Aufnahme des Decks aus der Vogelperspektive zeigte. Aber Ted hatte Recht: Das Bild war unscharf. Die Kamera hatte den übers Deck spazierenden Marty nur als eine Art Schatten eingefangen, der einen Moment zum Himmel blickte und sich dann an die Reling lehnte. Einige Sekunden später tauchte etwas Großes, Dunkles, Verschwommenes hinter ihm auf und war genauso schnell wieder verschwunden.
Alles, was Marty auf dem Video erkennen konnte, war, dass derjenige, der ihn geschubst hatte, deutlich größer war als Ted Bronson oder Bo. »Moment mal«, sagte er. »Ich denke, ihr habt alle Kameras entfernt?«
»Nicht alle«, präzisierte Ted. »Und die Kennmarken habe ich mir auch schon genauer angesehen. Bis ich an Deck kam, warst du mutterseelenallein dort oben.« Er blickte Wolfe an. »In diesem Moment haben außer dir und Marty nur Grace, Luther, Ana und Laurel ihre Kennmarken deaktiviert. Und von denen hat ja wohl niemand Marty einen Stoß in den Rücken versetzt.« Jetzt wanderte sein Blick zurück zu Marty. »Ich wäre dir schneller zu Hilfe gekommen, wenn ich nicht am Moonpool gewesen wäre. Als ich dein Rufen gehört habe, bin ich wie ein Besessener hoch an Deck gerannt. Ich hatte solche Angst um dich, dass ich nicht mal angehalten habe, um einen Funkspruch abzusetzen. Wenn ich ehrlich bin, war ich mir sicher, dass ich zu spät kommen würde.«
Wolfe griff nach seinem verschlüsselten Funkgerät und drückte auf die Sprechtaste. »Alf?«
»Ja. Was ist los?«
»Haben wir jemanden an Bord, der in der letzten halben Stunde seine Kennmarke abgenommen hat?«
»Nein. Seit Cryptos hat niemand hier seine Kennmarke abgenommen. Warum?«
»Ich melde mich gleich wieder.« Wolfe unterbrach die Verbindung und schaute Ted an. »Sieht so aus, als hätten wir einen blinden Passagier an Bord.«
»Und zwar einen äußerst miesen blinden Passagier«, ergänzte Ted. »Einen, den Blackwood eingeschleust hat.«
»Wahrscheinlich.«
»Wie sollen wir damit umgehen?«
»Bloß kein Aufheben machen«, antwortete Wolfe. »Wenn er mitkriegt, dass wir ihn entdeckt haben, verkriecht er sich und dann haben wir keine Chance mehr, ihn zu erwischen. Außerdem vermute ich, dass er einen oder mehrere Helfer an Bord hat.«
»Vielleicht hat er sogar einen Gizmo«, bemerkte Ted. »Wir haben doch vor einigen Wochen einen verloren.«
Wolfe stieß einen Fluch aus und schaltete das Funkgerät wieder ein. »Alf? Hast du den Gizmo-E-Mail-Verkehr überprüft?«
»Nein. Ich dachte, das wäre nicht nötig, schließlich ist jeder Gizmo-Besitzer auf unserer Seite. Und niemand sonst an Bord hat E-Mail-Zugang.«
»Das hat sich wohl leider geändert«, sagte Wolfe. »Erklär ich dir später. Überprüfe bitte schnell mal alle ein- und ausgehenden Gizmo-Mails.«
»Wird gemacht«, versicherte Alf.
Wolfe blickte Marty an. »Neue Spielregeln: Solange wir diesen Kerl noch nicht gefunden haben, geht ihr – du, Grace und Luther – nirgendwo mehr ohne Begleitschutz hin. Ich laufe jetzt runter und sage es den beiden anderen auch noch mal persönlich. Wenn der Typ keinen Gizmo hat, dann hat er mit Sicherheit ein Funkgerät, wie jeder hier an Bord. Vielleicht hat er sogar ein verschlüsseltes, so wie Alfs Team und ich. Obwohl – ohne Kenntnis unseres Verschlüsselungscodes würde ihm das nicht viel nützen.«
»Und was soll ich jetzt tun?«, fragte Marty.
»Du bleibst bei Ted. Ihr beide habt noch eine Menge zu besprechen.«
Wolfe schnallte sich seine Prothese um und eilte aus der Kabine.
»Was haben wir zu besprechen?«, fragte Marty, der Ted seine Versuchsreihe immer noch übel nahm.
»Punkt eins: Du hast dich nach den Kameras erkundigt …« Ted zog einen Gizmo aus seiner Tasche und ließ eine Drohne daraus aufsteigen, die er geschickt durch Wolfes Kabine kreisen ließ, bevor er sie an der Decke landete. Anders als Martys Fluginsekt war dieses aus transparentem Material gefertigt und verschmolz mit allen Farben, auf denen es sich niederließ, was es praktisch unsichtbar machte.
»Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der diese Dinger steuern kann«, stellte Marty fest.
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich etwas erfinden würde, das ich nicht selbst bedienen kann, oder?«
»Nein, wohl kaum.«
»Aber es wird dich vielleicht freuen zu hören, dass wir beide, du und ich, bislang die Einzigen
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