Jagd in der Tiefsee (Cryptos)
sind, die damit umgehen können. Im Übrigen gefällt mir deine Bezeichnung, Libelle, viel besser als Drohne. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich den Begriff gerne benutzen, um das Gerät als Patent anzumelden.«
»Nur zu«, sagte Marty. »Aber warum haben Sie mir die Libelle überhaupt zukommen lassen?«
»Um zu sehen, wie du mit einer millionenteuren Erfindung umgehst. Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt, dass du blitzschnell herausfinden würdest, wie man das Ding steuert. Aber bei einer anderen Sache war ich mir nicht so sicher – nämlich ob du es schaffst, dich an die vereinbarten Regeln zu halten. Doch du hast die Feuerprobe mit Glanz und Gloria bestanden: Du hast strikt abgelehnt sie Luther steuern zu lassen, als er dich fragte.«
»Sie haben die Unterhaltung abgehört?«, fragte Marty.
Ted nickte. »Seit deiner Rückkehr nach Cryptos klebt meine Libelle an dir dran.«
»Ah ja, gut zu wissen. Noch irgendwelche anderen Testreihen?«
»Stichwort Kombüse«, sagte Ted. »Zwei Saurierjunge schlüpfen, aber du wirst nicht an ihrer Fütterung beteiligt, sondern zum Küchendienst abkommandiert. Und du hast dich nicht nur, ohne zu murren, gefügt, sondern auch noch postwendend die katastrophale Essenslage, die ich absichtlich herbeigeführt hatte, ins Gegenteil verkehrt.«
»Absichtlich herbeigeführt??? Nee, nee, Sie sind ein absolut grottenschlechter Koch, da können Sie mir erzählen, was Sie wollen.«
»Na okay, in Wirklichkeit koche ich zwar etwas besser als Theo Sonborn, aber nicht viel, das gebe ich zu.«
»Und was soll das jetzt alles? Wofür haben Sie mich getestet?«
»Komm, ich zeig’s dir«, sagte Ted. »Lass uns runter zum Moonpool gehen. Ach ja, und jetzt, wo du weißt, dass ich nicht der unfreundliche Theo Sonborn bin, sondern der nette Ted Bronson, kannst du doch eigentlich auch Du zu mir sagen, oder?«
Rose
Nachdem Grace die zwei Schlösser der alten Truhe geöffnet hatte, hielt sie erst mal inne.
»Du bist total albern!«, flüsterte sie sich zu. »Wovor, bitte, hast du Schiss? Dass da ’n Skelett rausspringt? Na los, jetzt mach schon!«
Sie hob den Deckel an. Ihr Blick fiel auf haufenweise große braune Briefumschläge, Hängemappen und Moleskine-Hefte. Genau die gleichen, die sie selbst benutzte. Und mitten in dem Durcheinander lag ihr Frankenstein-Affe. Martys beruhigende Worte schossen ihr wieder durch den Kopf: »Wahrscheinlich ist er irgendwo verstaut. Irgendwo, wo du noch nicht nachgeschaut hast.« Sie zerrte den Affen aus der Truhe. Sosehr sie sich freute ihn wiederzuhaben, so sauer war sie auf Marty, dass er ihn ausgerechnet hier versteckt hatte. An dem Ort, an dem sie, wie er wusste, als Letztes suchen würde.
Mit dem Affen auf dem Schoß nahm sie den obersten Umschlag heraus und öffnete ihn vorsichtig. Er enthielt Kinderfotos von ihrer Mutter. Marty hatte es ihr bereits erzählt, aber sie hatte ihm nicht wirklich geglaubt. Doch es stimmte: Ihre Mutter, Rose Blackwood, sah haargenau so aus, wie sie selbst im gleichen Alter ausgesehen hatte. Ihre schwarzen Haare waren ebenso gelockt, ihre Augen hatten dieselbe Farbe – das helle Blau von Rotkehlcheneiern. Sie und ihre Mutter glichen sich tatsächlich wie Zwillinge.
Es waren Fotos dabei, auf denen ihre Mutter Tigerbabys im Arm hielt, einen Straußenvogel fütterte oder auf einem Zebra ritt. Und von all diesen Fotos strahlte Grace ein sehr viel jüngerer Noah Blackwood entgegen. Er sah überhaupt nicht so aus wie der fiese Typ, der er, wie Grace inzwischen wusste, sein konnte. Er sah aus wie ein glücklicher, liebender Vater. Etwas Entscheidendes jedoch fehlte auf den Fotos: eine Ehefrau. Roses Mutter. Grace’ Großmutter.
Wo war sie?
Wer war sie?
Was war mit ihr passiert?
Von einem energischen Klopfen an der Tür wurde Grace aus ihren Grübeleien gerissen.
»Herein«, rief sie und versuchte die Fotos schnell in den Umschlag zurückzuschieben, doch da stand Wolfe bereits in ihrer Kabine. Er wirkte höchst besorgt.
»Gott sei Dank, dir geht’s gut!«, rief er. »Ich war gerade unten im Labor, wo Luther und Laurel mir sagten, dass du hier oben ganz alleine bist.«
»Ich bin oft alleine hier«, bemerkte Grace.
»Ab jetzt geht das nicht mehr. Ich habe veranlasst, dass Laurel mit in deine Kabine zieht.«
»Wieso?«
Wolfe erzählte ihr, was Marty passiert war.
»Geht es ihm gut?«
»Ja, alles in Ordnung.«
»Und hast du eine Ahnung, wer dieser blinde Passagier sein könnte?«
»Mit Sicherheit einer von
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