Jagd in die Leere
könnte alles immer noch ein Traum sein, und sie reagierte nur auf dessen verlängerte Stärke. Aber sie zweifelte daran. Mit jedem Tag schien es weniger ein Traum zu sein.
In der Tat: Es kam ihr verdammt real vor.
Der Fragensteller kam jeden Morgen vorbei und setzte sich zwei oder drei Stunden zu ihr in die Zelle. Die meiste Zeit unterhielten sie sich, obgleich der Fragensteller auch nicht abgeneigt war, die Zeit in Schweigen verstreichen zu lassen. Es sah nicht so aus, als sei ihm das eine oder andere lästig. Sie wußte das, weil sie gelegentlich auf stur geschaltet und sich ge weigert hatte, mit ihm überhaupt etwas zu tun zu haben. Er hatte sie aber nicht gedrängt, sondern saß ihr nur ruhig und spöttisch gegenüber und sah aus dem Fenster. Nach einiger Zeit war er zu den Büchern hinübergegangen und hatte begonnen, sie flüchtig zu lesen, wobei er gelegentlich in sich hineinlachte. Was immer sie auch tat, es schien für ihn in bester Ordnung zu sein. Deshalb gab sie das Schweigen auf: Sprechen war leichter. Die Gespräche, die sie führten, waren nicht uninteressant, und wenn sie erst einmal auf ihn ein ging, wurden sie zum amüsantesten Teil des Tages.
Darüber hinaus gab es wenig, worauf man sich freu en konnte. Sie verbrachte die Nachmittage schlafend oder die Bücher durchblätternd, und dann, nach dem Mittagessen, eskortierten sie drei von ihnen – es waren immer drei, obwohl sie sich dessen nicht ganz sicher sein konnte – auf den Innenhof, wo sie ihr sagten, sie könne sich eine Weile bewegen … und dann zogen sie sich zurück. Die ersten paar Tage hatte sie verzweifelt versucht, eine Art Ausgang zu finden, aber die Mauern des Innenhofes waren auf beiden Seiten fünfzehn oder zwanzig Meter hoch – und der Korridor, ein geradeausführender Gang von immenser Länge, führte nirgendwo hin. Sie war ihn eines Abends keuchend hinuntergerannt, einen Kilometer oder mehr, und er war so endlos wie immer gewesen. Die Leere hatte sie derart schockiert, daß sie Angst bekam, sie könnte nicht mehr in ihre Zelle zurückfinden, und die Fremden sie hätten suchen und zurückbringen müssen. Danach hatte sie keinen Gedanken mehr an Flucht verschwendet. Nach einigen Tagen suchte sie auch nicht mehr nach anderen Menschen. Es waren keine außer ihr da. Ihre Zelle war die einzige Nische entlang der langen, kahlen Wand.
So begann sie nach einiger Zeit mit steifen Turnübungen, mit Gymnastik, an die sie sich noch schwach aus ihrer Collegezeit erinnerte, rannte ein wenig, und manchmal – zur Hölle damit – legte sie sich auf den Steinboden, sah den Mond an und strampelte mit den Beinen. Einmal streifte sie sogar für eine Übung ihre Kleider ab; die Steinplatten waren weich und das Wetter mild. Tatsache war, daß das Wetter immer mild und das Klima völlig gleichbleibend war. Ihre Nacktheit hatte offenbar wenig Wirkung auf ihre Fänger (nichts hatte irgendeine Wirkung auf sie). Sie kamen nicht, und nach einiger Zeit zog sie sich wieder an und ging zurück in ihre Zelle. Sie ließen sie immer in ihre Zelle zurückgehen, wenn sie fertig war. Die Türe war von außen sehr leicht zu öffnen; sie war nur für denjenigen verschlossen, der sich in der Zelle befand. Abends las sie wieder, aber meistens nur wenig. Es gab ganz einfach nichts anderes zu tun.
Es war nicht abzuwenden, daß die Befragungen wichtig für sie wurden; sie waren ein Mittel, um die Zeit totzuschlagen. Es war der Fremde gewesen, der erwähnt hatte, es seien »Befragungen«, und er selbst sei der »Fragensteller«. Sie zog vor, diese Befragungen als Konversationen oder gelegentliche Flucht ins Bedeutungslose zu interpretieren. Aber der Fremde erzählte ihr unaufhörlich, warum er hier sei und was er tue.
»Du mußt verstehen«, sagte er während einer der ersten Sitzungen, »wir können zu jeder Zeit mit dir machen, was wir wollen. Du mußt verstehen, daß du alles tun würdest, was wir heute wünschen, wenn wir dich dazu zwängen. Aber das ist unglücklicherweise nicht mit unseren Absichten zu vereinbaren oder mit den deinen. Bevor du mit uns zusammenarbeiten kannst, mußt du in einen Zustand der Selbsterkenntnis gebracht werden. Du mußt gewisse Charakteristika der Einsicht, die für deine Aufgaben relevant sind, an den Tag legen. Ich bin hier, um dich zu befragen und dir zu helfen, dieses Stadium zu erreichen. Und du bist hier, um mit mir zusammenzuarbeiten. Falls du das nicht tust, wird eben alles etwas länger dauern. Wir haben keine
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