Jagd in die Leere
Sie sich nichts vormachen. Ich habe für Leute, die sich in Selbsttäuschungen gefallen, nämlich nichts übrig. Man muß sich eben mit den Tatsachen abfinden, verstehen Sie?«
»Wie meinen Sie das?« sagte sie, indem sie die Bei ne übereinanderschlug und zum ersten Mal in dem Laken würdevoll auszusehen versuchte. Aber es war unmöglich, sie konnte ihn nicht ansehen. In der Tat stand der Arzt schon wieder auf, rückte seine Brille zurecht und nahm das Stethoskop vom Tisch, um es wieder um seinen Hals zu hängen.
»Es gibt keinen Beweis dafür, daß ich schwanger werden könnte? Das kann ich nicht verstehen. Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen.«
»Ich meine genau das, was ich gesagt habe. Verstehen Sie? Von meiner Untersuchung ausgehend, kann ich nur sagen: Dort unten kann ich nichts erkennen. Keinen Hinweis. Nichts, nichts, nichts, Madam«, sagte der Arzt und lehnte sich fast freundlich gegen sie, wo bei er die Hand auf ihren entblößten Schenkel legte; dieser Kontakt war grauenerregend, rief aber beinahe augenblicklich eine pulsierende Wärme hervor, der sich Della nicht zu entziehen vermochte.
»Ich schlage vor, Sie bringen Ihrem Gatten diese Nachricht so schonend wie möglich bei. Und Sie selbst probieren am besten einmal aus, ob Sie sich nicht bes ser fühlen werden, wenn Sie sich für den Rest des Tages entspannen. Falls keine Besserung eintreten sollte, kann ich Sie nur bitten, mich morgen anzurufen. Ich werde mich dann um einen kompetenten praktischen Arzt oder Internisten bemühen. Oder um jemand anderen. Aber es ist für mich nutzlos, Sie durch meinen Beruf auf falsche Gedanken zu bringen. Sie sind nicht schwanger. Dort unten ist nichts. Es ist nichts im In nern. Sie werden jedoch Ihren Urin in diese kleine Phiole abgeben, die dort auf dem Tisch steht, und sie, wenn Sie rausgehen, meiner Assistentin übergeben, so daß wir die Testformalitäten erledigen können. Das wäre alles. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.«
Er ging, und sie saß lächerlich in der Ecke und starr te mit Bestürzung, die langsam in Ärger umschlug, auf die winzige Phiole. Und dann, mit einem plötzlichen Ruck in ein noch weniger hoffnungsvolles Gefühl, erlaubte sich Della, einige sensible Augenblicke lang zu weinen. Sie zwang sich weitgehend und mit immer stärker werdender Absicht zum Weinen, bis sie sich besser fühlte. Als sie herauskam und sich wieder einigermaßen in der Gewalt hatte, sagte sie James, daß es nur ein Verkennen der Symptome gewesen war, daß der Arzt ihr gesagt hatte, daß sie nicht schwanger sei, obgleich natürlich kein Grund gegen den Versuch sprach, diesen Zustand herbeizuführen. Sie konnten auf jeden Fall eine Menge Spaß bei diesen Versuchen haben.
James legte den Arm um sie und sagte, daß das alles wunderbar in Ordnung wäre; keine Enttäuschung. Worauf es ankam, war, daß sie an die Wurzel der Schwierigkeiten kamen. Auf dem Weg hinaus übergab sie die Phiole nicht der Assistentin. Und, abgesehen von bestimmten Stimmungen, die sie unvorbereitet und überhaupt ohne jeglichen Grund überkamen, dachte sie nie wieder an den Arzt und auch nicht an das, was er gesagt hatte. Das Leben war ohnehin schwer genug. Es war etwas zu schwer. Abgesehen davon wäre ein Kind einer Katastrophe gleichgekommen. Zu jeder Zeit. Das war gar keine Frage.
James erinnerte sich jedoch an den Arzt und sprach gelegentlich von ihm, immer in einer witzelnden Art und immer darauf zurückkommend, was James seine »Deformation« nannte.
Das war der Situation, in der sie sich jetzt befand, am nächsten gekommen. Nicht daß die Ähnlichkeit groß war, aber es war der einzige Fixpunkt.
Der eine, der sagte, daß er zu ihrem Fragensteller ernannt worden sei, war ein kleiner, pedantischer Fremder, der mehr oder weniger wie der Rest aussah, aber dessen Beherrschung ihrer Sprache bis in die kleinsten Nuancen absolut perfekt war. Wichtiger noch: Er schien ihren Dialekt und ihre Charaktereigenschaften zu kennen; er gebrauchte dieselben Wörter wie sie, und auch im gleichen Kontext. Weil Della ab und zu einen etwas archaischen Slang gebraucht hatte, um einen Punkt für sich zu buchen – Ich komme mir vor, als wäre ich im Knast, hatte sie einmal gesagt –, tat er es auch, und das war absolut entmutigend. Wenn er soviel über sie wußte, auf einer Grundlage, wo Kontakt praktisch ausgeschlossen war, war es erschreckend, über das Wissen dieser Wesen, die sich selbst die X’Ching nannten, auch nur nachzudenken. Andererseits
Weitere Kostenlose Bücher