Jagdhunde (German Edition)
Haglund zur Karl Johans gate kam, bog er nach rechts ab.
»Karl Johan hoch«, meldete Line.
»Ich gehe ihm vom Egertorget entgegen«, gab Tommy durch.
Haglund war jetzt dreißig Meter vor Line. Er blieb vor The Scotsman stehen, drückte die Zigarette im Aschenbecher auf einem der Außentische aus und betrat den Pub.
»Im Scotsman«, berichtete Line und suchte sich ein Modegeschäft auf der anderen Straßenseite als Deckung aus.
»Hab ihn auch gesehen«, erwiderte Harald. »Ich komme von unten. Warte am 7-Eleven- Kiosk, falls er später hier entlangkommt.«
Morten P meldete sich. »Maus in der Falle?«
Harald: »Bestätigt.«
Line stellte sich neben einen Tisch, auf dem Collegepullover feilgeboten wurden. Am Nebentisch stand ein junger Mann und faltete T-Shirts zusammen. Er nickte und lächelte Line zu. Die Musik aus dem Geschäft war so laut, dass Line die Kopfhörerstöpsel tiefer in die Ohren schieben musste, um zu verstehen, was die anderen sagten.
»Morten, wo bist du?«
»Stehe am Stortorvet im Parkverbot.«
Lines anderes Handy fing wieder an zu klingeln. Dieselbe VG- Nummer.
Line riss sich einen der Ohrstöpsel heraus und nahm das Gespräch an. Sie konnte gerade noch verstehen, dass es eine Kollegin aus der Rechercheabteilung war, doch die Musik in der Modeboutique ertränkte alle anderen Geräusche fast vollständig.
Sie trat zurück auf die Karl Johan.
Im selben Moment kam Rudolf Haglund auf der anderen Straßenseite aus dem Pub und setzte sich an einen der Außentische unter einen Heizstrahler. Er hatte eine Tasse Kaffee und eine Zeitung bei sich.
Line drehte ihm den Rücken zu und entdeckte Haglunds Spiegelbild im Ladenschaufenster.
»Er hat sich einen Kaffee geholt«, gab sie durch.
»Was haben Sie gesagt?«, fragte die Kollegin von der Zeitung auf der anderen Leitung irritiert.
»Entschuldigung«, sagte Line und hielt die Hand über das Mikrofon, das die Verbindung zu den drei anderen herstellte. »Was sagten Sie? Was haben Sie herausgefunden?«
»Na, eigentlich hatten Sie das bereits selbst herausgefunden«, erwiderte die Frau am Telefon. »Sie wollten wissen, wer im Minnehallveien 28 in Stavern gewohnt hat.«
Line zog einen Notizblock aus ihrer Umhängetasche.
»Jonas Ravneberg wohnte dort zusammen mit Maud Torell. Sie ist eigentlich Schwedin, zog aber Ende der Achtziger nach Norwegen. Vor zehn Jahren ist sie zurück nach Schweden gegangen. Sie heißt jetzt Svedberg und wohnt in Ystad, ganz unten in Südschweden.«
»Maud Svedberg?«
»Ja, ich habe angerufen, weil ich dachte, es sei wichtig für Sie. Ich kann Ihnen Adresse und Telefonnummer gleich geben oder Ihnen eine E-Mail schicken.«
»Hervorragend«, bedankte sich Line. »Schicken Sie mir eine E-Mail.«
Sie beendete das Gespräch. Die Schaufensterpuppe im Laden war mit einem sportlichen Hemd bekleidet, das Tommy gut gestanden hätte. Hinter Line leerte Haglund seine Kaffeetasse und schob sie ein Stück beseite, um Platz für die Zeitung zu schaffen.
Vor zwei Jahren hatte Line eine größere Interviewserie für die Zeitung schreiben können, in der sie ein paar Mörder porträtierte, die zusammengerechnet einhundert Jahre im Gefängnis gesessen hatten. Sie beschrieb, was das Gefängnis aus ihnen gemacht hatte und wie das Leben danach für sie aussah. Und überwiegend war sie zugrunde gerichteten Menschen begegnet, die der Gesellschaft nach einem langen Leben im Gefängnis nichts anderes anzubieten hatten als neue Probleme.
Haglund blätterte eine Seite um, ohne die Zeitung zu lesen. Er betrachtete die Menschen, die in der geschäftigen Fußgängerzone an ihm vorbeiliefen. Ab und an richtete er den Blick auf eine einzelne Person und wandte den Kopf, um dem- oder derjenigen nachzusehen, bis er oder sie in der Menschenmenge verschwunden war.
»Was macht er?«, wollte Morten P wissen.
»Er sitzt da und sieht sich die Leute an«, gab Line zurück, doch im selben Moment wurde ihr klar, dass er die Menschen nicht einfach nur ansah. Er wählte einige der Passanten aus und beobachtete sie eingehend. Und das waren ausschließlich junge Frauen.
57
Der Wind hatte aufgefrischt, dunkle Regenwolken hingen bedrohlich tief am Himmel über der Hauptstadt. Wisting suchte sich ein Café an der Ecke zum Tinghuset aus. Bis zu dem Termin mit der Spezialeinheit hatte er noch fast eine Stunde Zeit. Er kaufte ein belegtes Brötchen und eine Tasse vom ›Kaffee des Tages‹. Diese Bezeichnung hatte er zwar noch nie gehört, aber der ›Kaffee
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