Jagdhunde (German Edition)
Hüfthöhe ruhen. Schließlich wandte er sich ab und blickte über die öde Waldlandschaft.
»Halten Sie sich von mir fern«, sagte er und ging weiter den Abhang hinunter. »Sie sollten sich von mir fernhalten.«
Line starrte ihm nach. Seine Worte hatten nicht wie eine Drohung geklungen, sondern wie eine Warnung.
65
Es regnete immer noch, als Wisting von der E 18 abbog. Ein kalter, schwerer Regen, der anscheinend nie aufhören wollte.
Wisting war noch nie zu Hause bei Bjørg Karin Joakimsen gewesen und musste die Auskunft anrufen, um ihre Adresse zu bekommen. Sie wohnte in Hovland, einem Stadtteil nördlich des Zentrums, der in den Sechzigerjahren entstanden war. Ihr Haus lag abseits der Hauptstraße in einer Sackgasse. Es war groß, mit jeweils einem Garten vorn und hinten, doch bescheiden im Vergleich zu den neuen Häusern, die in den letzten Jahren in dieser Gegend dazugekommen waren. Der Garten wirkte gepflegt, doch das Haus selbst schien renovierungsbedürftig.
Seit ungefähr zehn Jahren war sie alleinstehend. Wisting hatte ihren Mann nicht gekannt, hatte allerdings bei der Begräbnisfeier mit einigen Kollegen ganz hinten in der Kirche gesessen. Er glaubte nicht, dass sie einem neuen Mann begegnet war.
Wisting parkte vor dem Zaun. Im gelben Licht der Straßenlaternen glich der Regen langen Fäden. Es war fünf nach sieben. Ohne große Eile ging er auf die Tür zu.
»Kommen Sie herein!«, rief Bjørg Karin und schüttelte sich angesichts des Wetters draußen.
Wisting wischte sich das Regenwasser von den Schultern und folgte ihr. Der Duft von Kaffee und Hefegebäck hing in der Luft.
Sie führte ihn ins Wohnzimmer, verschwand aber gleich wieder in der Küche. Der Wohnzimmertisch war gedeckt mit Kaffeegeschirr und Kerzen, die darauf warteten, angezündet zu werden.
Wisting blickte sich um. Auf dem Esstisch am anderen Ende des Raums stand ein brauner Pappkarton.
»Setzen Sie sich«, forderte Bjørg Karin ihn auf und stellte einen Teller mit Zimtschnecken auf den Tisch, bevor sie ein Bild justierte, das schief an der Wand hing. Jesus und ein Mann am Wegesrand.
Er kannte sie nicht, dachte Wisting und nahm auf dem Sofa Platz. Jahrzehntelang hatten sie zusammen gearbeitet, aber er wusste nicht, wer sie war. Er hatte sie nie als religiös eingeschätzt und war leicht erstaunt, dass sie ein gesticktes Jesusbild an der Wand hängen hatte. Doch anscheinend verhielt es sich so mit den meisten Kollegen im Präsidium. Außerhalb der Arbeitswelt waren sie Fremde füreinander.
Bjørg Karin schenkte Kaffee ein. »Alles ist so seltsam«, sagte sie und setzte sich. »Irgendwie ist alles auf den Kopf gestellt.«
»Was sagen denn die Leute im Präsidium?«, fragte Wisting und trank einen Schluck Kaffee.
»Alle sind ja jetzt mit der Vermissten beschäftigt, Linnea Kaupang. Aber irgendwie passiert nichts. Ich glaube, sie haben Angst davor, etwas Falsches zu tun, und machen stattdessen lieber gar nichts.«
»Das sieht Nils Hammer aber gar nicht ähnlich.«
»Nein, aber Audun Vetti spukt dauernd im Haus herum.«
Wisting war überrascht. Als amtierender Polizeichef sollte sich Vetti mit der restlichen Administration eigentlich im Präsidium in Tønsberg befinden.
»Christine Thiis tut mir leid. Eigentlich sollte sie ja die Anklagevertretung leiten, aber er lässt sie nicht zum Zug kommen.«
Wisting nickte. Er kannte Audun Vetti. Er zeigte sich immer gern am richtigen Ort. Als er noch als Polizeijurist in Larvik tätig gewesen war, hatte er ständig Vorschläge gemacht, was zu tun und welche Aufgabe zuerst zu erledigen war, und hatte nicht gezögert, andere zu kritisieren. So war er schnell zu einer Belastung für den ganzen Ermittlungsapparat geworden. Denn was gebraucht wurde, war ein leitender Beamter, der die Kollegen motivierte, unterstützte und zu führen verstand, damit alle zusammen eine Lösung finden konnten.
Die Zimtschnecken waren hervorragend. Wisting aß zwei, stand dann auf und ging zum Esstisch hinüber.
»Ist es das hier?«, fragte er und zeigte auf den Karton.
»Ja. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Ihnen das helfen soll. Aber ich habe alles mitgebracht.«
Wisting nahm einen der Ordner heraus und begann zu blättern. Die fertig ausgefüllten Formulare waren nach der Freilassung eines Häftlings oder seiner Überführung in ein anderes Gefängnis in chronologischer Reihenfolge abgeheftet worden. Die Papiere, die Wisting durchblätterte, waren drei Jahre nach Haglunds Verurteilung hinzugefügt
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