Jagdhunde (German Edition)
Fernseher ein wenig von der Wand weg.
Wisting überlegte, ob er seinem Vater erzählen sollte, was er über Audun Vetti herausgefunden hatte, ließ es aber unerwähnt. Denn schließlich war es nicht sein Vater, dem gegenüber er sich reinwaschen musste.
»Eine der Kassetten steckt drin«, sagte Roald Wisting und deutete auf die Kameratasche. »Die muss aus dem Sommer stammen, bevor sie auf die Schule kamen. Wir waren alle zusammen in Dänemark. Legoland und Löwenpark.«
Wisting lächelte und erinnerte sich daran, wie enthusiastisch sein Vater mit der Videokamera herumgelaufen war und Legoautos gefilmt hatte, die in den aus Legosteinen erbauten Miniaturstädten umherfuhren.
Sein Vater spähte angestrengt durch die Brillengläser und versuchte, am Fernseher den richtigen Eingang für die Kameraleitung zu finden. Als er sie schließlich angeschlossen hatte, lächelte er zufrieden. Das Alter hatte bisher nur wenige Spuren in sein Gesicht gezeichnet.
»Wir sollten die Filme auf diese DVD-Platten übertragen«, fuhr er fort. »Farbe und Qualität lassen nämlich im Laufe der Zeit stark nach.«
»Du hast recht«, erwiderte Wisting. »Es gibt doch sicher irgendwelche Firmen, die so etwas machen?«
»Ganz bestimmt«, murmelte sein Vater und zog die alte Kamera aus der Tasche. »Jetzt wollen wir mal sehen.« Er verband das Kabel aus dem Fernseher mit der Kamera und schloss das Stromkabel an die Steckdose. »Wann kommt denn Line?«, fragte er.
Wisting schaute auf die Uhr und rechnete aus, dass die Fähre aus Schweden genau in diesem Moment in Sandefjord anlegte.
»In ungefähr einer Stunde, schätze ich.«
»Und was für einen Videofilm bringt sie uns da mit?«
»Das wissen wir noch nicht, aber ich glaube, dass es dabei um den Cecilia-Fall geht.«
»Der Cecilia-Fall«, gab sein Vater zurück. »Ich hatte Dienst im Krankenhaus, als ihr damals mit dem Mörder gekommen seid. Alle waren furchtbar erleichtert, als bekannt wurde, dass er gefasst war. Ich hatte ja nichts mit ihm zu tun, aber die Krankenpfleger in der Aufnahme haben damals noch stundenlang darüber geredet. Zwei von denen kannten ihn ja aus der Zeit, als er dort gelegen hatte.«
Wisting setzte sich. Er erinnerte sich an die kleinen Operationsnarben, die er auf dem Bild gesehen hatte, das bei Haglunds Untersuchung entstanden war. Es war ein Teil seiner Vergangenheit, der während der Ermittlungen nicht ausreichend berücksichtigt worden war.
»Hatte er sich nicht ein paar Muttermale entfernen lassen?«
»Ja, stimmt«, sagte Wistings Vater mit einem Nicken. »Man hatte ein paar Zellveränderungen festgestellt, als er zur Nachbehandlung kam.«
»Nachbehandlung?«
»Wir haben ihn wegen Prostatakrebs operiert. Das war ein paar Jahre vorher.« Roald Wisting richtete die Fernbedienung auf den Fernseher.
»Wird man von so einer Operation nicht impotent?«, fragte Wisting.
»Das kommt schon mal vor«, bestätigte sein Vater.
Die Videoaufnahme flimmerte über den Bildschirm. Ein roter Legobus fuhr auf eine Brücke zu und blieb dann stehen, während die Brücke hochgezogen wurde und ein Schiff darunter passierte.
Wisting stand auf, nahm das Telefon und ging auf die Küche zu.
»Was ist denn?«, rief ihm sein Vater nach.
»Ich muss nur kurz was überprüfen«, gab Wisting zurück.
Er wählte die Nummer des pensionierten Psychiaters, der Haglund untersucht hatte. Falls Rudolf Haglund durch die Behandlung von Prostatakrebs keine Erektion mehr hatte bekommen können, erschien der Fall in einem ganz neuen Licht. Eigentlich hätte dies durch die rechtspsychiatrische Untersuchung bekannt werden müssen. Noch seltsamer allerdings war die Tatsache, dass Rudolf Haglund in diesem Fall Informationen zurückgehalten hatte, die zu einem Freispruch hätten beitragen können.
Der Psychiater ging nicht ans Telefon. Wisting hinterließ eine Nachricht und bat um Rückruf. Dann lief er zurück ins Wohnzimmer.
Auf dem Bildschirm waren die Zwillinge mit Eiswaffeln zu sehen. Ingrid folgte ihnen mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. »Das ist ja bloß eurer drittes Eis für heute«, sagte sie lachend.
Wisting schluckte. Nachdem sie vor fünf Jahren gestorben war, hatte er keine Filmaufnahmen mehr von ihr gesehen, aber in erster Linie war es wohl auf ihre Stimme zurückzuführen, dass er so plötzlich reagierte.
Dann tauchten Bilder aus einem Indianerdorf auf und die Zwillinge hatten Federn im Haar.
Wisting setzte sich. Die Gedanken an Cecilia Linde, Rudolf Haglund und
Weitere Kostenlose Bücher